Israels Angriffspläne gegen den Iran: Wider jede Vernunft

Raketenabwehrsystem Iron Dome
Raketenabwehrsystem Iron Dome

Shimon Peres, Staatspräsident Israels, meint die militärische Option gegen die iranische Atompolitik würde derzeit international die Oberhand gewinnen gegen diplomatische oder wirtschaftliche Optionen.

Damit hat er offen ausgesprochen was in den Medien seit Monaten vermutet wird.

Die unlängst ausgesprochene Warnung des ehemaligen Mossad-Chefs Meir Dagan, ein Angriff gegen den Iran sei eine ausgesprochen “dumme Sache” – übrigens keine Einzelmeinung im israelischen Geheimdienst und dem Militär – wird von Premierminister Benjamin Netanjahu offenbar nach wie vor ignoriert.

Das ist aus mehrfacher Sicht ein schwerer Fehler. Hier lohnt ein Vergleich zwischen 1981 und heute.

Israel: Vom Nullrisiko zum Höchstrisiko

Israel mag “erfolgreich” und vielleicht sogar “richtig” gehandelt haben, als es im Juni 1981 den beinahe fertig gestellten irakischen Atomreaktor Osirak in der Nähe von Bagdad bombardiert hat.

Das Risiko war damals überschaubar:

Irak befand sich inmitten eines zermürbenden Krieges gegen seinen Nachbarn Iran. Er verfügte über keine Waffen, die Israel ernsthaft hätte gefährden können. Das Ziel des israelischen Angriffs bestand aus einem einzigen oberirdischen Gebäudekomplex, war also einfach zu identifizieren und zu zerstören.

Iran befand sich im ersten Jahr seiner islamischen Revolution, nachdem Revolutionsführer Ajathollah Ruhollah Khomeini im Jahr zuvor die Macht übernommen hatte. Es musste sich im Innern konsolidieren und sich gegen den irakischen Angriff erwehren. Einen zusätzlichen Angriff gegen den Irak konnte es nur gutheißen.

Syrien hatte seine Beziehungen zum Irak mit der Machtübernahme Saddam Husseins im Jahr 1979 weitgehend auf Eis gelegt und seine Botschaft in Bagdad geschlossen.

Die PLO hatte sich zwar nach der gewaltsamen Vertreibung aus ihrer vormaligen Hochburg Jordanien* im Libanon als Staat im Staat festgesetzt, war aber dort in den Bürgerkrieg verwickelt und insofern aus Sicht Israels weitgehend gebunden.

In Ägypten regierte Anwar el-Sadat, der als erster der arabischen Staaten Frieden mit Israel geschlossen hatte (seit dem israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 hatten alle arabischen Nachbarn Israels lediglich Waffenstillstandsvereinbarungen unterzeichnet). Von ägyptischer Seite war demnach wenig zu befürchten. Sadat hätte den neuen Frieden nicht wegen eines so geringfügigen Vorgangs aufs Spiel gesetzt.

Israel verfügte im Südlibanon über einen Sicherheitspuffer in Form der verbündeten “Südlibanesischen Armee” (SLA). Die von der israelischen Armee unterstützte SLA verhinderte, dass Israel im Jahr 1981 allzu viel vom andauernden libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990) mitbekam.

Pikant: In Israel standen im Monat  des Angriffs auf den irakischen Atomreaktor Parlaments-Wahlen an. Das rechte Bündnis des Likud unter Ministerpräsident Menachem Begin hatte im Jahr 1977 erstmals die jahrzehntelange Vorherrschaft der Arbeiterpartei Mapai gebrochen. Die Prognosen für die Knesset-Wahlen am 30. Juni 1981 sahen allerdings nicht rosig aus für den Likud. Die Auguren sahen den Herausforderer Shimon Peres als Sieger voraus. Insofern könnte die militärische Aktion gegen den irakischen Reaktor eine Demonstration der Stärke seitens Menachem Begins gegenüber der Wählerschaft gewesen sein. Sein Likud gewann die Wahlen schließlich mit einem Sitz Vorsprung.

Israel stand damals international in hohem Ansehen, nachdem es 1979 Frieden mit Ägypten geschlossen hatte. Menachem Begin und der ägyptische Präsident Sadat hatten dafür den Friedensnobelpreis erhalten.

Fazit: Von keiner Seite drohte große Gefahr und Israel genoss – wenigstens im Westen – einen guten Ruf.

Heute stellt sich die Lage für Israel vollständig anders dar.

Iran ist eine militärisch gut gerüstete Nation. Obwohl Teheran derzeit mit größter Wahrscheinlichkeit nicht über Atomwaffen verfügt geht man davon aus, dass sich präzise Mittelstreckenraketen im Arsenal befinden, die einen Gegenschlag ermöglichen. Inwieweit Israel dabei durch die amerikanischen Patriot-Raketenabwehrsysteme und das eigene Iron-Dome-System geschützt werden kann, könnte erst der Ernstfall zeigen.

Das Ziel eines israelischen Angiffs gegen die iranischen Atomanlagen in Natan, Busher und anderen bestünde aus vielen einzelnen, weit verteilten Anlagen. Ein Teil davon dürfte inzwischen unter die Erde verlegt worden sein. Einen Teil der Anlagen kennt man wahrscheinlich gar nicht. Der Aufwand viele verstreute und teils gut geschützte Ziele zu treffen, ist im Vergleich zu 1981 ungleich größer.

Iran pflegt enge Beziehungen zu Syrien. Zwar ist Syriens Präsident Assad derzeit vollkommen damit beschäftigt sich gegen die Freiheitsbewegung im Land zu behaupten, aber er könnte eine Aktion gegen Israel als Befreiungsschlag willkommen heissen.

Die Palästinenser in Gaza werden von Hamas geführt, die nennenswerte finanzielle und militärische Unterstützung aus dem Iran und aus Syrien bekommt. Daneben agieren im Gazastreifen kleinere Gruppierungen wie der Islamische Jihad, die sich immer wieder durch militante Aktionen gegen Israel profilieren wollen. Im Gegensatz zur PLO hat Hamas bislang keine Anerkennung Israels ausgesprochen. Ein Krieg Israel gegen den Iran hätte wahrscheinlich zur Folge dass sich Hamas auf der Seite des Irans beteiligt.

Libanon: Weitaus bedrohlicher stellt sich die Lage im Südlibanon dar. Hatte Israel schon im Jahr 2006 größte Mühe den 36-Tage-Feldzug gegen die schiitische Hisbollah-Miliz unter Wahrung des Gesichts zu Ende zu bringen, dürfte deren Waffendepot zwischenzeitlich erheblich angewachsen sein.

Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah hat mehrfach behauptet mit seinen neuen Raketen auch Tel Aviv erreichen zu können. Nicolas Blanford, ein Analyst von Jane’s Defense Weekly geht davon aus, dass Hisbollah über weitreichende Waffensysteme aus Syrien und dem Iran verfügt. Darunter sind wohl die iranischen Typen  Fajr-3, ein 240mm Raketensystem mit 43 km Reichweite, die Fajr-5, ein 333mm System mit 75 km Reichweite und die Zelzal-2, ein 610mm System mit 210 km Reichweite. Ein Angriff der Hisbollah auf ein israelisches Patrouillenboot während des Krieges in 2006 legt die Vermutung nahe, dass die Miliz über C-802 Cruise Missiles chinesischer Bauart verfügt.

Der arabische Frühling hat in Ägypten Präsident Mubarak hinweggefegt. Mubarak hat den Frieden respektiert, den sein Vorgänger Sadat mit Israel geschlossen hatte, wenngleich mit wenig innerer Überzeugung. Daher blieb es immer ein kalter Friede. Es war aber ein nützlicher Friede, weil Kairo Jahr für Jahr Milliarden Dollar Militärhilfe aus Washington bekam. Seit dem Sturz Mubaraks regiert de facto der mächtige Militärrat. Niemand kann mit letzter Sicherheit sagen, inwieweit der Rat gewillt ist, den Frieden mit Israel um jeden Preis zu halten. Kürzlich zeigte sich bei der Stürmung der israelischen Botschaft in Kairo durch einen wütenden Mob, wie wenig sich die ägyptische Führung vor Israel stellen will, wenn die aufgebrachte Straße ihrem Unmut gegen Israel freien Lauf lässt.

Das internationale Ansehen Israels hat sich seit Beginn der 80er Jahre kontinuierlich verschlechtert.

Als Ursachen dafür sind unter anderem zu nennen der Libanonfeldzug von 1982, der in das fürchterliche – von Israel unterstützte – Massaker von Sabra und Schatila in Beirut mündete; die beiden palästinensischen Intifadas; die Abriegelung des Gazastreifens; die blindwütigen Besatzungsjahre in der Westbank ab 2003 in der Ägide des “Schlächters des Libanon” Ariel Scharon; der fortgesetzte, international verurteilte Landraub im Westjordanland durch den jüdischen Siedlungsbau; der Libanonkrieg von 2006, in dessen Zuge Israel nicht nur die Hisbollah bekämpfte, sondern den halben Libanon in Schutt und Asche legte (General Dan Chalutz: “we will turn Lebanon’s clock back 20 years“); der “Weihnachtskrieg” gegen Gaza um die Jahreswende 2008-09, bei dem unverhältnismäßig viele Zivilisten getötet wurden und international geächtete Waffensysteme wie Phosporbomben oder Flechettes zum Einsatz kamen (Operation Cast Lead / Gegossenes Blei).

Die USA hatten mit ihrem Verbündeten Israel während der Zeit des israelischen Angriffs auf den Reaktor Osirak keine nennenswerten Probleme. Heute sieht das anders aus. Obama wollte einen Neuanfang mit der arabischen Welt, sehr zum Leidwesen Jerusalems. Obama hat seine Kräfte überschätzt, sich sowohl gegen Israel, als auch gegen die heimischen Verbündeten Israels durchzusetzen – bestehend aus den zahlreichen demokratischen und republikanischen israelfreundlichen Abgeordneten, den vielen Millionen christlicher Zionisten im Land und der Lobby – und hat daher seit seiner Rede in Kairo einen Rückzieher nach dem anderen machen müssen (Aktuell vereitelt Washington den Palästinensern einen eigenen Staat, den sie jüngst vor den Vereinten Nationen beantragt haben). Mit den aktuellen Überlegungen von Israels Premier Netanjahu**, Iran im Zweifel alleine anzugreifen, hat Washington erhebliche Bauchschmerzen. Mehr Kriegsherde kann und will sich Amerika derzeit nicht leisten, zumal dieser Krieg rasch die Form eines Flächenbrandes annehmen könnte. Das Pentagon hat offenbar eine Satellitenüberwachung Israels (!) beantragt, um etwaige Kriegsvorbereitungen früh erkennen zu können. Das ist, um es milde auszudrücken, unüblich unter Verbündeten.

Jeder Atomschlag gegen Israel wäre ein Atomschlag gegen die arabischen Nachbarn

Schliesslich stellt sich die Frage, ob der befürchtete (künftige) Atomschlag Irans gegen Israel plausibel ist.

Würde Teheran Israel tatsächlich atomar bombardieren, würde es automatisch Hunderttausende Araber mit bombardieren. Ein Angriff gegen Jerusalem (arabisches Ost-Jerusalem), gegen Tel-Aviv (arabisches Jaffa) ist nicht möglich ohne die ansässige arabische Bevölkerung mit zu treffen. Israel verweist beständig auf seine geringe geografische Größe. In diesem Kontext ist evident: Kein Atomschlag gegen Israel, der nicht auch alle angrenzenden arabischen Staaten massiv in Mitleidenschaft ziehen würde. Das gilt selbst für sogenannte taktische Atomwaffen mit kleineren Sprengköpfen.

Wie vor diesem Hintergrund das Horrorszenario eines iranischen Atomangriffs aufrecht erhalten bleibt, ist einigermaßen schleierhaft.

Der Irre Ahmadinejad

Die Annahme, bei Irans Achmadinejad handelt es sich um einen unberechenbaren “Verrückten”, der im Zweifelsfall auch die eigene Nation opfert, ist insofern rational vertretbar, als alleine diese Annahme einen Präventivschlag rechtfertigen könnte. Doch auch diese Überlegung führt nicht recht weit. Käme es diesem “Irren” nur auf eine Schädigung Israels an, würde er dafür keine Atomraketen brauchen. Mit einer ausreichend grossen Summe Geld könnte Iran jederzeit eine “schmutzige Bombe” kaufen oder selbst herstellen, um sie in Israel zu platzieren.

Doch würde auch in diesem Fall annähernd dasselbe gelten wie bei einem Nuklearangriff. Das “zionistische System auslöschen“, wie Ahmadinejad vielleicht nicht dem Wortlaut nach, aber bestimmt der Intention nach schon oft gefordert hat, würde sich auch damit nicht erreichen lassen, ohne unzählige Araber mit in den Tod zu reissen. Dem Iraner liegt allerdings viel zu viel daran in der Region als starker Mann gesehen und respektiert zu werden, als dass er sich seine Ambitionen damit kaputt machen würde.

Was ein israelischer Angriff jenseits aller Spekulationen in jedem Fall mit sich bringen würde, wäre eine beachtliche ökonomische Schwächung Irans und ein Rückschlag in dessen Hochtechnologiebereich. Möglicherweise liegt nur darin das eigentliche Motiv Israels.

Ungeachtet aller geschilderten Risiken scheint sich Großbritannien vorzubereiten, an der Seite Israels mit ins Gefecht zu ziehen.

Die derzeit zu beobachtende Vorbereitung auf einen weiteren überflüssigen Krieg ist das eigentlich Irrationale. Dagegen scheint Irans Ahmadinejad nur ein aufgeblasener Hanswurst zu sein. Ein Hanswurst übrigens, der derzeit zwischen allen innenpolitischen Fronten steht und allem Anschein nach in nicht allzu ferner Zukunft demontiert wird.

Kann es sein, dass man den “Irren” Ahmadinejad seitens Israels und Großbritanniens noch nutzen will, solange es ihn noch gibt?

— Schlesinger

Die Diskussion zu diesem Beitrag können Sie auf dem Spiegelfechter verfolgen / dazu beitragen

Photo: Iron Dome (Israel Defense Forces, Flickr CC  Lizenz)

* “Schwarzer September” 1973

** Dessen Verteidigungsminister Ehud Barak meint aktuell: “A situation could be created in the Middle East in which Israel must defend its vital interests in an independent fashion, without necessarily having to reply on other forces, regional or otherwise.”

Related articles
Translate »