Kaukasuskonflikt: Für John, Dein George

Wer profitiert, wer hat etwas von einer Sache? Das ist eine der Kernfragen des beobachtenden Politologen, wenn es um die Bewertung politischer Prozesse geht.

Es wurde viel über die Anfänge des Kaukasus-Konflikts geschrieben, über das aggressive und provokante Vorgehen Saakaschwilis und die von Anfang an harte, und inzwischen zu harte Gangart Rußlands.

Nachdem Rußlands Ministerpräsident Putin den USA schon früh den Vorwurf gemacht hat, durch aktive Unterstützung und Ermutigung Saakaschwilis Mitschuld am Ausbruch des Kriegs zu haben, hat er seine Vorwürfe nun gegenüber CNN verstärkt:

[…] the U.S. had encouraged Georgia to attack the autonomous region of South Ossetia.

Putin told CNN his defense officials had told him it was done to benefit a [ US ] presidential candidate […]

U.S. citizens were indeed in the area in conflict. They were acting in implementing those orders doing as they were ordered, and the only one who can give such orders is their leader.

In Sachen Kaukasuskonflikt dürfte Putin ebenfalls nicht ausschließlich altruistische und humanitäre Ziele haben, aber noch weniger Vertrauen hat Präsident Bush verdient. Nicht nur dass der forsche Versuch der Einbindung Georgiens in die NATO überhastet und mindestens zu diesem Zeitpunkt politisch unklug war.

Die vielfachen Unterstützungsbemühungen gegenüber Georgien – um es vorsichtig zu formulieren – mussten früher oder später zu unerwünschten Reaktionen Moskaus führen. Wie würde wohl Washington reagieren, wenn Moskau Bruderschaft mit Mexiko schließen würde und anfinge, das Land unter anderem mit Militärberatern zu unterstützen? Diese Frage bedarf keiner Diskussion.

Um zur Ausgangsfrage zurück zu kommen. Wer ist Nutznießer des Konflikts? Rußland und Georgien sicherlich nur sehr bedingt, da beide schon jetzt einen beachtlichen Preis bezahlt haben, und vorhersehbar bezahlen mussten. Beide haben sich, kann man urteilen, in einer Art politischem Jähzorn in diese Auseinandersetzung gestürzt.

“It’s just sort of a perfect thing for him.”

Lachender Dritter ist nur einer: John McCain. Für George Bush selbst ist nurmehr wenig zu holen im Kaukasus. Hinsichtlich der Perspektive, einen weiteren Republikaner ins Weisse Haus zu befördern, könnte Bush angesichts der neokonservativen langfristigen Agenda, für die er steht, allerdings geneigt (gewesen) sein, die absehbaren Dinge ihren Gang nehmen zu lassen, sie gegebenenfalls zu forcieren und darauf zu spekulieren, dass sich der Konflikt im Rahmen hält.

So meinte ein harscher Kommentar der Washington Post von Robert Kagan unmittelbar nach Beginn des Georgienkonflikts, dies sei der Auftakt für die imperiale Rückeroberung des Wladimir Putin:

The man [Putin] who once called the collapse of the Soviet Union “the greatest geopolitical catastrophe of the [20th] century” has reestablished a virtual czarist rule in Russia and is trying to restore the country to its once-dominant role in Eurasia and the world.

Armed with wealth from oil and gas; holding a near-monopoly over the energy supply to Europe; with a million soldiers, thousands of nuclear warheads and the world’s third-largest military budget, Vladimir Putin believes that now is the time to make his move.

Es ist eins, Vorsicht und Aufmerksamkeit jemandem gegenüber zu empfehlen, dem man möglicherweise nicht gänzlich trauen kann (Bitte, das ist mit Henry Kissinger gesprochen die älteste politische Binsenweisheit: Nationen haben keine Freunde, sondern Interessen), oder jemandem sogleich eine halbe Welteroberung anzudichten.

Ein “kleiner Kalter Krieg” jedenfalls ist de facto und rein funktional betrachtet die perfekte Wahlkampfhilfe für McCain.

McCains schroffe und grob geschnitzten Anmerkungen zu Rußland finden Anklang beim Publikum und scheinen sein Profil als Kriegsveteran zu schärfen. Diesen Dienstag meinte McCain zum russischen Überfall auf Georgien (sic!):

that their assault in Georgia risks “the benefits they enjoy from being part of the civilized world.

Die naive Einmal-Eins-Rechnung geht vorläufig auf:

Krisensituation + Kriegsheld = größere Sicherheit.

Unmittelbar mit Beginn der Krise verbesserten sich die Umfragewerte für McCain:

Since the crisis erupted, McCain has focused like a laser on Georgia, to great effect. According to a Quinnipiac University National Poll released on August 19 he has gained four points on Obama since their last poll in mid-July and leads his rival by a two to one margin as the candidate best qualified to deal with Russia.

Nochmals: Ob das Georgien-Szenario Weise tatsächlich so initiiert wurde, wie Putin es darstellt, muss letztlich Spekulation bleiben. Hier soll nur auf die funktionale Seite hingewiesen werden.

Will Berlin, will die EU McCain ins Amt befördern?

Vor diesem Hintergrund sollten sich auch Berlin und die EU fragen, was sie funktional bewirken, wenn sie weiterhin allzu schroffe Töne gegenüber Medjedew anschlagen.

Ganz abgesehen davon sind die derzeitigen Drohgebärden etwa des französischen Außenministers und derzeitigen EU Ratspräsidenten Kouchner unfreiwillig komisch, da die EU von Rußland inzwischen ebenso abhängig ist wie umgekehrt – und das ist gut so. Dass derartige Abhängigkeiten gut sind, zeigt sich exakt jetzt: Das gehört zu den gerne übersehenen Vorteilen der Globalisierung.

Das sich der russische Außenminister Lawrow über diese leeren Drohgebärden geradezu lustig macht, ist gemessen an den Maßstäben diplomatischen Verhandlungsgeschicks insbesondere für die russiche Seite kontraproduktiv.

Was diese aggressiven Gesten Berlins und der EU funktional gemeinsam haben ist dies: Sie stärken die Position McCains erheblich, nolens volens.

Ob das für die EU nach acht Jahren Bush eine lohnende Perspektive ist, darf bezweifelt werden.

Dieselbe Frage stellt sich auch für Rußland: Wollen Putin und Medwedjew McCain ins
Amt befördern? Auch danach sollten sie ihre Aktionen und Reaktion bemessen.

Hier eine Zusammenstellung von US Kommentaren, wie McCain vom Konflikt profitiert:

https://de.youtube.com/watch?v=qxiKesbYw5Y

Jill Zuckman, Chicago Tribune: “It’s just sort of a perfect thing for him.”

Jeff Birnbaum, Washington Post: “This is McCain’s advantage here, advantage McCain. This is right in his sweet spot in foreign policy national security.”

Mark Halperin, Time Magazine: “I think McCain benefits…this is good politically for John McCain”

Leseempfehlung:

Auf dem bekannten US Blog DailyKos kann man einen scharfen, kritischen, aber in seiner Kritik ausgewogenen Beitrag zum Georgienkonflikt lesen, der sich insofern angenehm abhebt von den vor allem in der westlichen Blog-Hemisphäre allzu oft anzutreffenden plumpen und bisweilen naiven USA- oder NATO-Kritiken, als er nicht klammheimlich unterstellt, die bösen Drahtzieher säßen im Weissen Haus, sondern nüchtern und analytisch feststellt, dass just in der derzeitigen Situation (Bush in Washington, Putin/Medjedew in Moskau) zwei gleichermaßen zynische Machtgruppierungen um ihre Einflusszonen wetteifern. Beiden ist in Sachen Georgien nicht zu trauen:

… here are a few facts worth noting about Georgia and the current behavior of its president, Russia, and decision makers in Washington:

  • First, let’s be clear: there are two reasons only we care about Georgia: the oil pipelines that go through its territory, and the opportunity it provides to run aggressive policies towards Russia.
  • Second, let’s also be very explicit: this conflict is not unexpected: it is a direct consequence of our policies, in particular with respect to Kosovo (and to all those that will claim that “no one could have predicted” this, let me point out to this comment, or this earlier one, or this article). I would even go so far as to say that it was egged on by some in Washington: the neocons.
  • Third, our claims to have the moral high ground are totally ridiculous and need to be fought, hard. This is not about democracy vs dictature, brave freedom lovers vs evil oppressors, but a nasty brawl by power-hungry figures on both sides, with large slices of corruption. The fact that this is turned into a cold-war-like conflict between good and evil is a domestic political play by some in Washington to reinforce their power and push certain policies that have little to do with Russia or Georgia. That needs to be understood.Lesen Sie den ganzen Beitrag hier.

Lesen Sie zur Ergänzung auch den Blog “Der Sieger der Vorwahlen heißt George W. Bush / McCain profitiert vom Geist der Bush-Jahre“.

Wie die Tageszeitung DIE WELT exakt in der Manier von FOX News über Barack Obama und die Demokraten herzieht, können Sie hier lesen.

Wie sich der Papst zum Konflikt stellt, erfahren Sie hier.

— Schlesinger

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