Palästinensische Opferrolle Hindernis für Frieden

Yair Lapid, gutaussehender ehemaliger TV-Liebling, seit seinem fulminanten Einstieg in die Politik nun Finanzminister der Regierung Netanjahu, wollte einen Witz machen: Ja, sein Wechsel in die Politik sei eine schmerzhafte Erfahrung gewesen

Ich hatte immer so viele Meinungen, bevor ich die Tatsachen kannte.

Lapid hatte in der Zwischenzeit genug Gelegenheit “Tatsachen” der israelischen Politik kennen zu lernen. Eine davon betrifft die Haltung gegenüber den Palästinensern.

Vor dem Eintritt seiner Partei Yesh Atid (Es gibt eine Zukunft) in die Regierung hatte Lapid vollmundig erklärt er würde keiner Koalition beitreten, die nicht dem Friedensprozess verpflichtet sei.

Friedensprozess hin oder her, natürlich trat der frischgebackene Politstar der Koalition bei. Bibi Netanjahu gab ihm großzügig das Amt des Finanzministers. In kargen Zeiten wie diesen – man erinnere sich an die sozialen Unruhen des Jahres 2011 – dürfte es das am wenigsten geeignete Amt sein, um beliebt zu bleiben. Das hat sich schnell bewahrheitet. Lapid rutschte in den Umfragen drastisch nach unten.

Über lange Wochen hatte sich Lapid mehr oder weniger vor der Öffentlichkeit versteckt und nur noch über Facebook kommuniziert. Nun gab er der New York Times ein Interview, in dem er nichts über seine Finanzpolitik, aber einiges über die Sicherheitspolitik sagte.

Nichts davon hört sich nach einer eigenen Meinung an. Nichts lässt erkennen, dass Lapid mit Details vertraut ist. Statt dessen vertritt er harte konservative Positionen.

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Israel: Judea and Samaria District according to official Israeli regulations. Unlike other administrative districts of Israel, this district is not entirely territorial – it includes only the Israeli settlements in the West Bank (excluding East Jerusalem which was annexed to Israeli Jerusalem district). (Photo credit: Wikipedia)

Die Siedlungspolitik in der Westbank solle so bleiben wie bisher. Auch der Wiederaufnahme von Verhandlungen zuliebe solle daran nichts geändert werden. Das sogenannte “natürliche Wachstum” der Siedlungen wird weiter gehen. Die finanzielle Unterstützung von Bürgern, die sich in Judäa und Samaria (= Westbank) niederlassen wollen, wird fortgesetzt.

Daneben orakelte Lapid vage, daß irgendwann “Tausende von Siedler” aus “abgelegenen Siedlungen” umgesiedelt werden müssten. Diese Vorstellung sei “herzzerreissend”. Was sich anhört wie ein Zugeständnis ist längst eine Art evergreen der israelischen “Sicherheitspolitik”. Das bedeutet lediglich, dass man die ganz überwiegende Mehrheit der Siedlungen beibehalten werde, aber der Kosmetik zuliebe ein paar unbedeutende outposts aufheben wird. Das liefert nützliche Bilder, die zeigen wie israelisches Militär wehklagende Siedler aus ihren Häusern holt.

Mit weniger Umschweifen stellt Lapid fest, dass Ost-Jerusalem niemals Hauptstadt eines palästinensischen Staates werden wird. Denn, so Lapids nebulöse Begründung, Jerusalem sei kein “Ort”, sondern eine “Idee”.

Zu einem Palästinenserstaat wird es nach Auffassung des Finanzministers bis auf weiteres nicht kommen, da Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas selbst das größte Hindernis für eine Verständigung ist.

Abbas sei aus “psychologischen Gründen” noch nicht so weit. Warum? Weil er und die Palästinenser sich fortgesetzt auf die “Opferrolle” festlegen würden. Auf dieser Basis sei eine Verständigung schwer möglich.

Diese Begründung ist bemerkenswert, da just die Opferrolle das wahrscheinlich zentrale  Begründungselement zionistischer Politik lange vor 1948 war und ist: Israel musste  gegründet werden, um allen Juden eine Zuflucht vor Verfolgung und Unterdrückung zu geben, und seit der Staatsgründung 1948 sieht sich Israel den Angriffen der Arabern ausgesetzt.

Schon lange hat man in Israel erkannt, dass man sich dieses Alleinstellungsmerkmal nicht von den Palästinensern nehmen lassen darf. Darum verbietet konsequenterweise das sogenannte Nakba-Gesetz in Israel, dass an die Flucht und Vertreibung von rund einer Million Palästinensern im Zuge der Kriege von 1948 und 1967 erinnert wird.

Und so bleibt für den glücklosen Finanzminister Yair Lapid nur dieser Rückgriff auf bewährte patriotische Standards, um sein angeschlagenes Image ein bisschen aufzupolieren.

Dem Frieden wird das nicht dienen, aber der ist für Netanjahu & Co. ohnehin nur ein Vehikel im politischen Balanceakt.

— Schlesinger

* “I used to have so many opinions before I learned the facts.”

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