Bibis 100 Milliarden-Dollar-Tritt in die Weichteile Amerikas

Stellen Sie sich vor, Sie sind sind Vizepräsident der letzten Supermacht auf Erden.

Stellen Sie sich vor Sie reisen zu Ihrem Freund, in bester Absicht, wie immer.

Mitgebracht haben Sie einen wundervollen Strauß loyaler Erklärungen. Da Ihr Freund notorisch klamm ist, haben Sie auch Ihr Portemonnaie gefüllt. Wie immer.

Ihr Freund ist nicht wirklich bedeutend. Aber das ficht Sie nicht. Sie sind ein bisschen romantisch, Sie erinnern sich gerne an alte Zeiten. Glauben an wahre, ewige Freundschaft.

Sie begrüssen Ihren Freund mit warmen Worten. Der erwidert die Grüße, nennt Sie auch einen echten Freund, beruft sich auf die wirklich sehr, sehr lang dauernde persönliche Freundschaft.

Das alles findet vor den Augen der Welt statt.

Sie erklären dabei, gewissermaßen vor Zeugen, ihre absolute Loyalität: Kein Blatt Papier passe zwischen sie beide!

Und dann tritt Ihnen Ihr Freund vor laufender Kamera in die Eier.

Benjamin NetanjahuSie krümmen sich. Verstehen nicht wirklich. Versuchen aber angesichts der Kameras Haltung zu bewahren.

Ihr Freund sagt “Uuups!” und “Äh, wie konnte das passieren?” und dreht sich um und gestikuliert wild, und ruft “wer hat denn diesen Schlamassel angerichtet?

So ungefähr lässt sich der Ablauf des Besuchs des amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden beschrieben, der aktuell nach Israel reiste, um den Nahost-Friedensprozess wieder in Gang zu bringen.

Kaum angekommen, hat er nicht nur äußerst wohlwollende Worte geäußert, er sprach er de facto auch eine Schutzgarantie für Israel gegen eine iranische Bedrohung aus.

Doch Israels Premier Netanjahu schert das nicht.

Aus seinem Innenministerium kam just während des Staatsbesuchs die offizielle Ankündigung für den Bau weiterer 1600 Häuser in Jerusalem.

Im palästinensischen Ost-Jerusalem, um genauer zu sein:

1  Gilo: 850 Wohnungen
2 Pisgat Zeev: 600 Wohnungen
3 Sheikh Jarrah: Mehrere palästinensische Familien wurden hier vertrieben
4 Ramat Shlomo: 1600 Wohnungen genehmigt
5 Silwan: Die Zerstörung von 88 palästinensischen Wohnungen wurde angeordnet (wg. fehlender Baugenehmigung)
6. West Bank barrier: Grenzzaun / “Sicherheitszaun” / “Apartheitszaun”

Illegale Bauten. Völkerrechtswidrige Bauten. Von Washington unmißverständlich abgelehnte Bauten.

Netanjahu und eine ganze Reihe Offizieller entschuldigen sich bei Joe Biden und gegenüber den Medien – für das “schlechte timing”.

Sie lesen richtig – für das “timing”. Nicht etwa dafür, dass ein schwerer Fehler begangen wurde, der schleunigst bereinigt werden muss. Und nein, es handelt sich keinesfalls um einen Lapsus, um einen einmaligen Ausrutscher, sondern um die fortgesetzte eigensinnige, rücksichtslose Politik eines seltsamen Freundes, der viele Spiele spielt.

Christlicher Fundamentalist
John Hagee vor Joe Biden bei Netanjahu

Einen Tag vor Eintreffen von Joe Biden hat Benjamin Netanjahu den radikalen US Prediger John Hagee empfangen. Seit langem gibt es eine unselige Allianz zwischen der extremen christlichen Rechten in den USA und einem Teil der jüdischen Orthodoxen in Israel. Das Programm Hagee’s hinsichtlich der Siedlungspolitik freilich ist diametral den Erwartungen Washingtons entgegengesetzt. Denn auch Hagee träumt von einem Groß-Israel. So zitierte Hagee aus der Bibel: “Amos 3,2 states that any nation that divides the Land of Israel will come under the severe judgment of God.” Netanjahu wird wissen, warum er mit Hagee aufgetreten ist.

Benjamin Netanjahu: Korrekt, wir sprechen von demselben Politiker, der bereits zu Zeiten von Bill Clinton israelischer Premierminister war und der schon damals den amerikanischen  Präsidenten vorführte.

Netanjahu hat die Worte von US Präsident Obama genau vernommen, die jener in seiner viel beachteten Rede in Kairo gesprochen hat:

At the same time, Israelis must acknowledge that just as Israel’s right to exist cannot be denied, neither can Palestine’s.

The United States does not accept the legitimacy of continued Israeli settlements.  (Applause.)

This construction violates previous agreements and undermines efforts to achieve peace.  It is time for these settlements to stop.  (Applause.)

Wer ist schon dieser Obama?

Das hat Netanjahu wenig beeindruckt. Um genauer zu sein: Das hat ihn gereizt, herausgefordert.

Wer ist schon dieser Obama, scheint sich Netanjahu zu fragen.

Ein schwarzer Emporkömmling, der von dem wahren jüdischen Kampf um das Heilige Land Eretz Israel nichts weiß und statt dessen blauäugig vom Frieden mit den Arabern träumt – jenen Arabern, die seinen, die Netanjahus  Bruder erschossen haben bei der Geiselbefreiung von Entebbe…

Präsident Obama hat in Kairo exakt die richtige Richtung eingeschlagen und den richtigen Ton getroffen. Beiden Lägern gegenüber, dem jüdischen wie dem arabischen. Er hat sich weder der einen noch der anderen Seite angebiedert. Er hat weder der einen noch der anderen Seite klare Worte erspart.

Aber überwältigt von der Wucht der Ereignisse daheim – Finanzkrise, Immobilienkrise, Automobilkrise, Arbeitslosigkeit, Gesundheitsreform, Afghanistanpolitik, anstehende Wahlen –  ist das Thema Nahostkonflikt nach hinten gerückt. Wie könnte es anders sein.

Es geht um den Respekt vor Amerika

Doch nun ist höchste Vorsicht geboten. Es geht in diesem Fall nicht um den Nahostkonflikt. Es geht um den Respekt vor Amerika. Gerade in der Krise.

Was Jerusalem, was Netanjahu und seine Regierung seit lämgerem tun und nun allzu offenkundig getan haben, ist die Autorität Amerikas vor aller Augen zu untergraben.

Das kann, das darf sich Obama aus gründen der politischen Räson nicht gefallen lassen.

Joe Biden hat Netanjahu eineinhalb Stunden warten lassen, bevor er zum Staatsbankett erschien. Das war eine hübsche Geste zu zeigen, dass man verärgert ist. Der zugrunde liegende Vorgang selbst aber ist so ungeheuerlich, dass Obama angemessen reagieren muss. Muss.  Auch wenn es der mutmaßlich gute Freund ist.

Auch die relativ hart gehaltene Stellungnahme von Joe Biden, in der diese Vorgehensweise Jerusalems veruteilt wird, genügt nicht als Reaktion:

I condemn the decision by the government of Israel to advance planning for new housing units in East Jerusalem.

The substance and timing of the announcement, particularly with the launching of proximity talks, is precisely the kind of step that undermines the trust we need right now and runs counter to the constructive discussions that I’ve had here in Israel.

We must build an atmosphere to support negotiations, not complicate them. This announcement underscores the need to get negotiations under way that can resolve all the outstanding issues of the conflict.

The United States recognizes that Jerusalem is a deeply important issue for Israelis and Palestinians and for Jews, Muslims and Christians.  We believe that through good faith negotiations, the parties can mutually agree on an outcome that realizes the aspirations of both parties for Jerusalem and safeguards its status for people around the world.  Unilateral action taken by either party cannot prejudge the outcome of negotiations on permanent status issues.

As George Mitchell said in announcing the proximity talks, “we encourage the parties and all concerned to refrain from any statements or actions which may inflame tensions or prejudice the outcome of these talks.”” [ White House ]

Israel hat offenbar vollkommen vergessen, dass es ohne die USA zugrunde gehen würde. Seit Bestehen des Staates hat es über

100 Milliarden Dollar

empfangen (nicht zu erwähnen die Überlebenshilfe im Yom-Kippur-Krieg von 1973).

Dieser Betrag ist nur eine höchst konservative Schätzung des “Information Clearing House”, das nur öffentlich zugängliche  Quellen berücksichtigt hat.

Die Dunkelziffer liegt naturgemäß um Faktoren höher.

Wenn ein noch immer nassforscher israelischer Premierminister namens Bübchen “Bibi” Netanjahu fortdauernd vergisst wer ihn nährt, sollte – nein: muss – ihm für einige Zeit die Vollmilch vorenthalten und durch Magermilch ersetzt werden.

Obama, Washington braucht kein Israel für die Iran-Frage, wie manche Kommentatoren irrtümlicherweise nahe legen.  Falls Washington tatsächlich die militärische Karte spielen möchte, was jenseits aufgeregter Stimmen eher unwahrscheinlich ist, muss es selbst gar nichts tun, es muss schon gar nicht Jerusalem bitten zu handeln. Es kann darauf vertrauen, dass Jerusalem ohnehin nur wartet, freie Hand zu haben.

Insofern ist Obama tatsächlich frei. Diese Freiheit muss er nutzen, um den allzu vorlaut gewordenen Freund in die Schranken zu weisen.

Aber bitte mit Ohrfeige. Vor laufender Kamera. So viel Gleichheit muss sein, unter Freunden.

— Schlesinger

Update 14.03.2010 :

US Secretary of State Hillary Clinton mißbilligte die Vorgehensweise Jerusalems aufs Schärfste:

Dies ist eine Beleidigung für die Vereinigten Staaten!

Hillary Rodham Clinton’s harsh words stun Israel

A spat over the Ramat Shlomo housing project in East Jerusalem
becomes a bigger clash as the secretary of State calls it ‘an insult to the United States.’

Dass es sich um eine größere Verstimmung handelt, bestätigt der Präsident der einflussreichen pro-israelischen Anti-Defamation League:

“We cannot remember an instance when such harsh language was directed at a friend and ally of the United States,” said Abraham Foxman.

PS.: Um eine tendentiell andere Darstellung zu den Finanzzahlen kennen zu lernen, sei auf diesen Blogbeitrag aus Israel verwiesen. Letztlich kann ich weder die Zahlen des ICH, noch die im israelischen Blog  genannten Zahlen verifizieren, doch scheint mir der Hinweis des ICH auf die Grauzonen nicht unerheblich.

Leseempfehlungen:
FP / Washington Post / Haaretz / JPost / Spiegel
Photo: Montage T.A.B., Original IsraelMFA Flickr CC Lizenz,
Joe Biden: Think Progress
Grafik: BBC
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