Ulrich Beck über den neuen Antisemitismus

Der Münchner Soziologe Ulrich Beck, der bedeutende Werke über die Risikogesellschaft und Modernisierung verfasst hat, schreibt in der Süddeutschen Zeitung über die Globalisierung des Antisemitismus.*

Der Tenor seines Beitrags:

Im Zuge der Globalisierung des Nahostkonflikts werden Juden in Ländern wie Deutschland oder Frankreich mit Israelis gleichgesetzt. Diesen vermeintlichen Israelis wird eine Mitverantwortung für die Folgen des israelischen Militäreinsatzes gegen Gaza gegeben. Das sei nicht akzektabel. Denn deutsche oder französische Juden möchten sich als Bürger dieser Länder fühlen und geachtet  wissen. Viele europäische Juden würden sich derzeit erneut unerwünscht fühlen und mit dem Gedanken spielen, nach Israel auswandern zu müssen.

In diesem zentralen Punkt seiner Darstellung hat Beck zweifellos recht.

Seine Empörung ist gerechtfertigt.

Becks Anklage, es würden sich zu wenige Stimmen gegen diese Form von Verunglimpfung erheben, muß man als Deutscher mit Scham akzeptieren.

Hier folgt kein “aber”.

Zwei Aspekte, die unmittelbar zum Thema gehören, sollen angefügt werden.

Solidarisierung des Zentralrats mit Israel

Gerade weil Beck recht hat in seinem Befund, deutsche Juden würden pauschal und ungerechtfertigterweise mit Israelis gleichgesetzt, hätte er in diesem Zusammenhang die unrühmliche Rolle des Zentralrats der Juden ansprechen müssen.

Während des letzten Gazakriegs (“Operation Gegossenes Blei”) hatte sich der Zentralrat mit großflächigen Anzeigen und fragwürdigen Texten auf die Seite Israels geschlagen. Man darf bezweifeln, dass das zu den originären Aufgaben dieser Organisation gehört, deren vollständiger Name immerhin “Zentralrat der Juden in Deutschland” lautet. Der Zentralrat ist nicht die Zionistische Weltorganisation.

Beim aktuellen Gazakrieg geschieht im Grunde dasselbe. Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats, hat gerade in München auf einer Solidaritätsveranstaltung für Israel gesprochen. Auf der Tribüne hinter ihr stand in großer Schrift das Motto der Veranstaltung:

Gegen Antisemitismus

Gegen Antizionismus

“Gegen Antizionsimus” ? Abgesehen davon, dass niemand weiß, was “Zionismus” heute genau bedeuten soll, betreibt der Zentralrat – oder zumindest die Jüdische Kultusgemeinde von München und Oberbayern, deren Präsidentin Frau Knobloch ist – eine vorsätzliche Verstrickung deutscher Juden mit den Angelegenheiten Israels. Dagegen hat noch kein deutscher Jude hinreichend laut protestiert.

Das macht die Argumentation Becks nicht hinfällig. Der Zentralrat macht die Sache für Juden in Deutschland nur komplizierter.

Unkenntnis des Nahostkonflikts

Ulrich Beck ist Soziologe. Mangelnde Detailkenntnisse zum Nahostkonflikt kann man ihm nicht anlasten.

Immerhin schreibt er im Beitrag: “Die Situation im Nahen Osten ist für viele Europäer nicht mehr verständlich.”

Leider hat sich Beck nicht beim Wort genommen und auf die soziologische Analyse beschränkt, sondern mußte auch Aussagen treffen zu den Hintergründen des Konflikts. Das ist bedauerlich. Denn er wiederholt nur allzu gängiges, was “Qualitätsmedien” wie die Süddeutsche dem Publikum anbieten. Und das ist nun mal tendentiell die amerikanisch-israelisch-deutsche Sicht eines Konflikts, in dem – benennen wir es ruhig – der christlich-jüdische Westen gegen die “radikalislamistische Hamas” steht. Worin eine andere Sichtweise bestehen könnte kann hier aus Platzgründen nicht ausgebreitet werden, denn darum geht es in meinen  zahlreichen Beiträgen.

Die beiden Anmerkungen zum Zentralrat und der Geschichte des Nahostkonflikts – das sei nochmals betont – ändern nichts am richtigen Tenor des Beitrags von Ulrich Beck.

Die beiden Anmerkungen zum Zentralrat und der Geschichte des Nahostkonflikts – das sei nochmals betont – ändern nichts an dem richtigen Tenor des Beitrags von Ulrich Beck.

Die Diskussion zu diesem Beitrag finden Sie auf dem FREITAG.

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