Aussenminister Westerwelle in Gaza

Guido Westerwelle durfte das israelische Hochsicherheitsgefängnis namens Gaza besuchen.

Gaza nach dem letzten Krieg
Gaza nach dem letzten Krieg

So mittendrin zu sein im Nahostkonflikt wird Minister Westerwelle ein weiteres mal rote Bäckchen der Aufregung über die eigene Bedeutung beschert haben.

Aus Dank dafür hat er viel gelächelt, hat die Kinder der von ihm besuchten Mädchenschule ermuntert “schön fleißig” zu sein, und hat eine von Deutschland finanzierte Kläranlagen-Erweiterung besichtigt.

In Sachen Kritik an Israel hielt er sich stark zurück.

Zurückgehalten?

Nein!, meint die Süddeutsche, Westerwelle habe Israel mit diesen klaren Worten kritisiert:

Es ist inakzeptabel, 1,5 Millionen Menschen zu blockieren.

Der Besuch ist ein klares Zeichen, dass wir die Menschen in Gaza nicht vergessen und nicht vergessen können.

Klare Worte, klare Zeichen?

Vielleicht aus Sicht der Medien. Doch in Jerusalem wird sich niemand auch nur einen Deut um die warmen Worte des Deutschen kümmern. Westerwelle hat seine kleine Pflicht erledigt. Hat signalisiert, dass man sich sorgt, sich Mühe gibt. Mehr nicht.

Seit Israel im Jahr 2005 aus Gaza abgezogen ist und diesen Rückzug irreführend aber erfolgreich als große Friedensinitiative verkauft hat, wurde die Schlinge zunehmend enger gelegt um Gaza.

Als die Hamas die freien Wahlen des Jahres 2006 gewann herrschte  nicht nur beim politischen Gegner Fatah große Aufregung, sondern auch in Israel. Schließlich hatte sich Hamas in den vorangegangenen Jahren durch größere Militanz hervorgetan als Fatah.

Sie war es auch, die in den neunziger Jahren mit den Selbstmordattentaten im israelischen Kernland begonnen hatte. Kaum an die Macht gekommen, drehten die USA und die EU der palästinensischen Selbstverwaltung in Gaza den Geldhahn zu. Zehntausende Angestellte der Verwaltung und mit ihnen die Angehörigen wurden mittellos.

Das genügte aus Sicht Jerusalems und Washingtons bei weitem nicht, um die Hamas zum Abtreten zu bewegen. Eine Koalition der anderen Art musste geschlossen werden.

Der Feind des Feindes ist mein Freund. Die drei ungleichen Freunde Israel, Fatah und die USA taten sich im Folgenden zu einem Umsturzversuch zusammen. Die USA und Israel organisierten die Waffen, und Fatah sollte Hamas aus Gaza vertreiben. Das Ende ist bekannt. In den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen im Hochsommer 2007 behielt die Hamas die Oberhand. Fatah wurde aus Gaza gejagt.

Hamas wurde zur Terrororganisation deklariert. Dem hat die Organisation nicht zuletzt dadurch eine Berechtigung gegeben, daß sie sich nicht nur als palästinensische Befreiungsorganisation versteht, sondern mehrfach erklärt hat, Israel vernichten zu wollen.

Eine Mehrheit der Bevölkerung von Gaza war angesichts des gescheiterten Friedensprozesses von Oslo, des wirtschaftlichen Niedergangs, der lange Jahre währenden Korruption von Arafats Fatah und den immer wieder extrem brutalen Angriffen der israelischen Armee für die harte Linie der von Hamas.

Israel hat nach dem Abzug der unterlegenen Fatah den Gazastreifen zu Land, zur See und zur Luft hermetisch abgeriegelt. Ägypten hat sich dieser Blockade angeschlossen.

Seitdem herrscht für die Mehrzahl der 1,5 Millionen Menschen in Gaza der permanente Notstand.

Offiziell richtet sich die Blockade gegen die Hamas. Das wurde seitens Amerikas und seitens der EU rundweg unterstützt. Dass es sich tatsächlich um eine Kollektivstrafe größten Ausmaßes handelte, wurde ignoriert.

Seit langem hat Israel gewalttätige oder auch nur vermutete Aktionen der Hamas präventiv oder im nachhinein mit der größt möglichen Brutalität beantwortet.

Bereits vor dem irrwitzigen Krieg Israels gegen Gaza um die Jahreswende 2008/2009 (Operation gegossenes Blei / Cast Lead) sind viele Hundert Kinder, Frauen und Alte infolge israelischer Strafaktionen ums Leben gekommen.

Niemand kann ermessen, was es für eine Bevölkerung bedeutet nur sporadisch mit Wasser, Elektritzität, Öl und funktionierenden Kläranlagen versorgt zu sein. Was es heißt, wenn dringende medizinische Versorgung fehlt. Was es für 40.000 Fischer bedeutet, wenn sie nur in einem auf minimale 6 Meilen begrenzten Streifen vor ihrer eigenen Küste fischen dürfen.

Denn Israel betrachtet die Zerstörung von Elektrizitätswerken, Kläranlagen, Öltanks, Straßen und Brücken und die Hoheit über die Gewässer bis unmittelbar vor die Küste Gazas als legitimen Teil ihres Kampfes gegen die Hamas.

Soll die Zivilbevölkerung leiden wie sie will. Solange es in Israel niemand sehen will – seit 2006 ist israelischen Journalisten der Zugang zu Gaza verwehrt – und sich der Rest der Welt nicht kümmert, kann man machen was man will.

Auch Deutschland hat es die längste Zeit nicht gekümmert. Kanzlerin Merkel hat in ihrer “historischen Rede” vor der Knesset kein Sterbenswörtchen an Kritik verlauten lassen an den unsäglichen Zuständen in Gaza oder der Westbank.

Das Ausmaß der Gewalt, die den Bewohnern Gazas angetan wurde und wird, steht in keinem Verhältnis zu den Reaktionen der westlichen Welt. Das mag man noch verstehen mit Blick auf Amerika, wo es eine mächtige jüdische und konservativ-christliche Lobby gibt, die keine Jota Kritik an Israel dulden. Aber man kann es nicht verstehen mit Blick auf Europa.

Der Besuch Westerwelles war nichts. Maskerade. Selbstlob.

BILD macht sich seine eigene Meinung – geschönt, gefärbt, gelogen

Vor diesem Hintergrund liest man den unsäglichen BILD-Beitrag eines entweder heillos naiven oder maßlos zynischen  “Chefreporters” namens Julian Reichelt.

Da wird Gaza kurzerhand zu einer “Hochburg der Terrororganisation Hamas” reduziert, und es klingt so, als wären alle Palästinenser irgendwie Terroristen.

Von dort aus seien Tausende Raketen auf Israel abgefeuert worden. Richtig, aber Reichelt unterschlägt, dass der Großteil irgendwo in der Wüste niederging, und der Rest über Jahre verteilt kein Dutzend Todesopfer forderte – also so viel wie bei einer einzigen mittleren israelischen Strafaktion.

Im Winter 2008 habe Israel aber zurückgeschlagen und die Hamas-Stellungen bombardiert. Das ist an Irreführung kaum zu überbieten. Bombardiert wurde alles – unter Einsatz von Phosphor- und Splitterbomben – , aber am wenigsten die Hamas, denn die hat sich so wenig wie möglich gezeigt, was vorhersehbar war.

Die 2400 vollständig (!) zerstörten Häuser und die 350.000 (!) beschädigten Wohnungen gehörten zum geringsten Teil der Hamas.  Über 1300 Menschen wurden getötetund über 5000 verwundet.* Kein Sterbenswörtchen davon seitens BILD.

Zur Desinformation fügt Reichelt die Erniedrigung hinzu. Denn Gaza sei ein “unwirtlicher Küstenstreifen“. Als wäre er das von Natur aus. Und, so wird einem suggeriert, passe das auch zu der unschönen politischen Haltung der dortigen Araber.

Hamburgs schöne Außenalster, werter Herr Reichelt, wäre auch unwirtlich wenn die Stadt jahrzehntelang abgeriegelt und boykottiert würde.

Die Hamas ist nach Reichelt – in Fettdruck – zu “keinerlei Verhandlungen” bereit. Das ist nun eine schlichte Lüge. Oder der Reporter ist unwillens oder unfähig auch nur ein wenig zu recherchieren.

Hamas-Führer und damaliger Ministerpräsident Ismael Haniyya bot unter Einbeziehung der britischen Regierung im Oktober 2006 einen zehnjährigen Waffenstillstand an.   Chaled Maschaal bot im Frühjahr 2008 unter Einschaltung des früheren US Präsidenten Carter dasselbe an:

Wir haben einen Waffenstillstand angeboten, wenn sich Israel auf die Grenzen von 1967 zurückzieht, einen Waffenstillstand von zehn Jahren als Beweis der Anerkennung.

Die Forderung nach einem Rückzug auf die Grenzen von 1967 ist dabei deckungsgleich mit mehreren UN-Resolutionen und stellt keine außerordentliche Forderung der Hamas dar. Die Offerten wurden von Israel ausgeschlagen, weil es offiziell jegliche Gespräche mit Hamas ablehnt. Was bedeutet angesichts dieser kategorischen Verweigerungshaltung Jerusalems der Befund des BILD-Kommentators, Hamas sei zu keinerlei Verhandlungen bereit? Nur soviel: Es ist eine hohl daher geplapperte Behauptung, die beim Leser allerdings hängen bleiben wird.

Wer einen aktuellen, soliden Bericht zur Lage in Gaza lesen möchte, kaufe sich die heutige Wochenendausgabe der Süddeutschen und nehme sich die Beilage vor (s. Photo). Der Autor Dietmar Herz legt darin plausibel dar, dass einen weiteren Krieg – gerade in Gaza! – nur der vermeiden kann, der mit dem politischen Gegner verhandelt.

Guido Westerwelle hat in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Jerusalem selbstverständlich von Gesprächen mit Hamas-Vertretern abgesehen. Ohne Übertreibung muss man daher feststellen, dass er dem Krieg mehr Vorschub geleistet hat als dem Frieden. Daran ändert auch die idiotische Polit-Romantik von BILD-Reporter Reichelt nichts, der seinen furchtbaren Beitrag betitel hat mit der “Friedensmission” Westerwelles.

— Schlesinger

Photo: Cover Beilage Süddeutsche Zeitung (Text-Montage T.A.B.)

** Quelle: Gideon Levy – The punishment of Gaza

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