Wahlsieg der AKP = Islamisierung der Türkei?

Den vielleicht besten Kurzkommentar zum Wahlergebnis in der Türkei, wo die AKP unter Premierminister Erdogan mit 47 Prozent der Stimmen einen fulminanten Sieg errungen hat, liefert Celal Özcan (Hürriyet), der regelmäßig eine Kolumne für die Süddeutsche Zeitung* schreibt. Unter anderem meint er:

so wenig wie die deutschen Wähler der christlich-konservativen Union als Befürworter einer Christianisierung der Gesellschaft verstanden werden dürfen, so wenig darf man die türkischen Stimmen für die AKP als Hinwendung zum Islam interpretieren.

Mit der Gründung der Republik haben die Türken das Bewußtsein erlangt, Staatsbürger zu sein und nicht Untertanen, und sie blicken nicht nach Osten, sondern nach Westen.

Sinnigerweise kommen just aus der CDU die skeptischen  Kommentare zum Sieg der AKP.

Unionsfraktionsvize Schockenhoff gibt den mahnenden Oberlehrer:

Die Türkei ist Teil einer europäischen Wertegemeinschaft. Wir erwarten, dass sie das auch bleibt.

Tayyip Erdogan aus Sicht von Ruprecht Polenz

Lediglich mahnend den Ton nach, aber de facto aufwiegelnd in der Sache äußerte sich Ruprecht Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag:

Für die Türkei gibt es zwei Versuchungen: einen übersteigerten Nationalismus und islamistische Abwege. Die gilt es zu verhindern.

Islamistische Abwege?

Demnach droht der Türkei aus Sicht Polenz’ nicht etwa nur eine stärkere Identifikation mit dem Islam, sondern ein Abdriften ins Islamistische. Als “islamistisch” – darüber sollte jemand Herrn Polenz hinweisen – gilt eine radikale, fundamentalistische oder gar gewaltbereite Religionsauslegung, wie sie etwa von Hamas in Gaza oder der Hisbollah im Libanon ausgeübt wird.

Spannend wäre zu hören, wie Herr Polenz auf die folgende fiktive türkische Kommentierung reagieren würde  im Fall eines hohen CDU/CSU-Wahlsiegs (zugegebenermaßen ein extrem unwahrscheinlicher Fall):

“Für Deutschland gibt es zwei Versuchungen: einen übersteigerten Nationalismus und ein mentaler Rückfall in die Zeiten der Inquisition”.

Das würde sich der Christdemokrat aufs Schärfste verbitten.

Ist nicht Meinungsfreiheit eins dieser Werte der “europäischen Wertegemeinschaft”, wie Schockenhoff posaunte? Richtig.

Man müsste sich nun darüber unterhalten, inwieweit billige populistische Unterstellungen passen zum hohen Gut der Meinungsfreiheit.

— Schlesinger

Bildmontage: T.A.B., auf Grundlage der umstrittenen Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard (Jyllands Posten Denmark)

* SZ v. 18./19.06.2011 Printausgabe S. 142 Rubrik “Mein Deutschland”

Empfohlen zur weiteren Lektüre:

Der Bericht des amerikanischen, christlich ausgerichteten und  konservativen Christian Science Monitor: Er berichtet kritisch im besten Sinn, aufgrund der eigenen Grundhaltung natürlich mit Skepsis gegenüber einer AKP die sich islam-nah gibt,  aber aufgeschlossen gegenüber vielen weiteren Merkmalen: So wird ein Journalist zitiert, der meint die AKP habe längst Religion gegen Ökonomie getauscht. Ein Wähler kommt zu Wort der sagt, wenn die AKP ihre Versprechen nicht einhält wird sie nächstes mal abgewählt. Die AKP, so urteilt der CSM, habe über die letzten Jahre gezeigt, dass sie nichts gemein hat mit einem fundamentalistischen Islam à la Iran.

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