So lautet die Überschrift des Beitrags von Prof. Dr. Hans Küng in der Rubrik “Außenansicht” der Süddeutschen Zeitung.
Küng ist einmal mehr höchst ambitioniert. Er vollzieht allerdings eine prekäre Gratwanderung, indem er nicht nur ein “besseres” politisches Ethos einfordert, sondern es als alternativlos darstellt. Als gäbe es “das” ethische handeln. Das kommt dem Satz gleich: “Wären wir alle Engel, gäbe es keine Teufel”. Schopenhauer würde das als Wolkenkuckucksheim abtun, und nicht ganz zu unrecht.
Wer die Werke Küngs oder die Grundzüge daraus kennt, weiß um die fraglose Gelehrsamkeit des Theologen, ehemaligen Papstberaters und emeritierten Professors. Jedem Atheist kann mit Gewinn Küngs früheres Standardwerk “Existiert Gott?” empfohlen werden. Nicht deswegen, um den Atheisten zu überzeugen, sondern darum, ihn vor nicht haltbaren Urteilen zu bewahren.
Peter Scholl-Latour ist einer, der mit zunehmendem Alter seine Gelassenheit zu verlieren scheint und der seinen jeweiligen Gesprächspartnern bei jeder Gelegenheit am liebsten an die Gurgel möchte, wenn die sich einmal mehr seinen zahlreichen und meist guten Argumenten gegenüber verschlossen zeigen.
Hans Küng scheint von gegensätzlicher Natur zu sein. Mit zunehmendem Alter möchte er sich seine Welt dem von ihm gepredigten “Weltethos” anpassen.
Und bist Du nicht willig, so brauch ich — nein, keine Gewalt, sondern liebenswürdige Geduld und große Vorstellungskraft. Dieses sich den realen Verhältnissen gegenüber Sperren ist allerdings doch nichts anderes, als subtil praktizierte geistige Gewalt, in dem Falle hauptsächlich ihm selbst gegenüber.
Küng argumentiert nicht nur für ein politisches Ethos, sondern führt gleich zum Beweis die “besseren” Politiker an. Er läßt Altbundeskanzler Helmut Schmidt bekunden, dass der nie mit der macchiavelistischen Politikauffassung seines Freundes und ehemaligen US Außenministers Henry Kissinger übereinstimmte. Das mag Schmidt ehren – den ich für den vielleicht fähigsten deutschen Kanzler seit ’45 halte – aber nichts dazu aussagen, ob das intendierte Ethos immer mit den Ergebnissen harmoniert. Goethe hatte mit seinem Satz “Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft” keinen unklugen Satz formuliert, den man in Bezug auf Politik (und für den Alltag) gut umkehren kann: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und oft das Böse schafft.
Jimmy Carter könnte man als Beispiel dafür anführen, wie einer stets nur das Beste wollte, aber wahrscheinlich gerade daher versagte.
Ludwig Erhard war ein visionärer Wirtschaftsminister, aber als Kanzler ein Gutmensch, so dass er sich von US Präsident Johnson ein Kostenpaket für den Vietnamkrieg aufpacken ließ, das ihn letztlich seine Kanzlerschaft kostete.
Damit sind wir beim Dilemma: Sieht man von den allzu klaren Fällen unethischer Politik ab – einerseits der inhumanen Politiken etwa der Nationalsozialisten, der Stalinisten, der Apartheidspolitiker in Südafrika und den USA, und andererseits den Politiken der Profiteure in eigener Sache wie Mugabe, Suharto, Idi Amin etc.pp. – bleibt gerade n i c h t eine sich klar abzeichnende Alternative von “ethischer” Politik übrig.
Es bleiben vielmehr politische V e r s u c h e übrig, die aufs Ganze betrachtet einmal mehr, einmal weniger erfolgreich, und damit ansatzweise “ethisch” sind.
Nehmen wir das Beispiel George W. Bush.
In unzulässig kompakter Zusammenfassung würde ich – ohne Ironie – sagen:
Bush wollte von Anfang an das Beste für sein Land.
Ich nehme ihm bis zu einem gewissen Grad seine Gläubigkeit ab.
Ich akzeptiere bis zu einem gewissen Grad seinen Patriotismus.
Nur: Bush ist in höchstem Maße inkompetent.
Zudem hat er einen äußerst schwachen Charakter und bringt keinerlei innere Kraft mit. Man denke nur an Sätze wie “I am a war president” oder “I am still important“.
Bush ist letztlich ein Hanswurst, den die Verhältnisse – wozu äußerst gerissene Strippenzieher wie insbesondere Dick Cheney und Karl Rove zählen – ins Amt gebracht haben. Dort durfte er versuchen, Präsident zu spielen.
Bezogen auf die Frage ethischer Poltik: Bush ist keine Hitler, kein Stalin, kein Pol Pot.
Bush ist gefährlich, weil seine Amtsführung funktional, also von den Wirkungen her, gefährlich war und gefährlich ist. Nicht von der Intention her, das ist ein gehöriger Unterschied. Bush dürfte sich – vermutlich – nie gesagt haben “Ich beuge die Verfassung, um meine Macht ins Unermeßliche zu steigern“, sondern um sein Ziel, “die Welt vom Bösen zu befreien” (seine Worte) effizienter verfolgen zu können. Ist das unethisch? Sicherlich nicht von der Absicht her. Von den konkreten Maßnahmen her dagegen war und ist es vielfach, nun ja, ein bunter Strauß stinkender Sumpfblüten: juristisch Halblegales (Guantanamo), organisatorisch Ineffizientes (Wirtschaftspolitik, Katrina), humanitär Verheerendes (Irak, Katrina). Und insofern unethisch.
Streng genommen praktiziert Bush nichts anderes als die Katholische Kirche: Eiserne Gesinnungsethik.
Was heißt das? Die richtige Gesinnung muss einfach die richtigen Konsequenzen mit sich führen. Falls die Realität dem zuwider läuft, tut sie es nur dem Schein nach. In Wahrheit ist die Realität “richtig“. Einfaches Beipiel: Katholische Verhütungspolitik und AIDS. Die Folgen von AIDS in Afrika und andernorts sind allgemein bekannt. Dennoch verweigert sich Rom strikt, irgend eine Art der Verhütung zu akzeptieren, insbesondere auch nicht die Anwendung von Kondomen, womit das Ansteckungsrisiko dramatisch gesenkt würde. Die Konsequenz – Millionen von Toten – ist aus der Perspektive Roms ganz offenkundig akzeptabel, weil die Gesinnung, die der Forderung nach freier Empfängnis zugrunde liegt, schon immer die richtige Ethik war.
In exakt demselben Sinne verfährt George W. Bush. Er will die Welt vom Bösen befreien und ihr die Segnungen der amerikanischen Demokratie bringen. Die zwischenzeitlichen setbacks [Rückschläge] werden allenfalls als Herausforderungen im Sinne von “Kein Gewinn ohne hohen Einsatz” gesehen.
Nehmen Sie unseren ersten Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer.
Adenauer log. Er “traute seinen Deutschen” nicht, wie er selbst sagte. Er durfte ihnen gegenüber nicht zu viel bekunden über seine Pläne der Wiederbewaffnung und die rigorose Westintegration, die er von vornherein beabsichtigte. Da hätten sie nicht mitgemacht. Nicht am Anfang wenigstens. War also diese Kammerpolitik – die von Küng so diskreditierte Politik des 19. Jahrunderts – ethisch? Man darf daran zweifeln. War sie erfolgreich? Gemessen am Ergebnis – nicht bis zum Ende aller Tage, aber innerhalb der üblichen politischen Halbwertszeit – absolut. So war sie denn “klammheimlich ethisch”, weil er es besser wußte als die anderen? Das gibt es nicht in der Ethik.Hier liegt das Problem, das Hans Küng und viele andere Ethiker geflissentlich unter den Tisch fallen lassen möchten: Ethos erhebt den Anspruch auf “Wahrhaftigkeit” im voraus. Es gibt kein “vielleicht ethisch”. Nicht in der Theorie.
Ob sich die Politik “normaler Politiker” (Ausnahmen siehe oben) aber bewährt, mithin “ethisch” ist, zeigt sich stets erst im Nachhinein.
Wer nicht lügt, um den Anfangssatz aufzunehmen, hat noch längst nicht gewonnen – auch nicht ethisch.
Eigentlich ist diese von Küng verfochtene Auffassung von Ethos wunderlich, geht doch ein nicht kleiner Teil der christlichen Theologen von der Gnadenlehre aus. Gott gewährt Gnade denen, denen er Gnade gewähren will. Gnade lässt sich nicht “erkaufen”, nicht mehr jedenfalls seit jenen Tagen, in denen Luther seine 95 Thesen an die Kirche zu Wittenberg geschlagen hat.
Man könnte auch sagen: Gott gewährt den in aufrichtiger, “ethischer” Absicht vollzogenen politischen Handlungen Gnade, denen er Gnade gewähren will.
Das ist romantisch, in gewisser Hinsicht. Der Rest ist schönbeten.
— Schlesinger
PS.: Alle Hochachtung vor der Arbeit Küngs zum interkulturellen und interreligiösen Dialog.
(Photo: Altkanzler Helmut Schmidt mit Hans Küng)
Meine besondere Empfehlung:
Die Erkenntnisse von Robert McNamara aus seine politischen Jahren.
Nichts für Freunde des Vorurteils.