Hoffnung für Afghanistan

Jahrelang war der Krieg in Afghanistan kein Thema in Deutschland.

Erst mit dem Vorfall in Kundus, bei dem ein Tanklastzug auf Befehl des deutschen Obersten Klein bombardiert wurde und dabei auch viele Zivilisten zu Tode kamen, geriet unsere Truppenpräsenz am Hindukusch zu einer erhitzten Debatte.

Dabei wurde rasch ersichtlich, dass die Deutschen im großen und ganzen nicht hinter dem Einsatz der Bundeswehr stehen.

Zu viel Militär, zu wenig zivile Unterstützung, lautete das Credo. Schlimmer noch: Dass sich die Afghanen längst von ihren mutmaßlichen Helfern gegen die Taliban und Al-Quaida abgewandt hatten, ließ für die weitere Zukunft Schlimmeres befürchten.

Im Februar 2009 fasste das WDR eine in Afghanistan durchgeführte Umfrage schonungslos mit den Worten zusammen:

Der Hass auf den Westen wächst

In Afghanistan müssen die internationalen Truppen nicht nur gegen erstarkte Taliban kämpfen, sondern in zunehmendem Maße auch gegen eine feindliche Stimmung in der Bevölkerung. Eine Umfrage von ARD, ABC und BBC zeigt: Das Land verliert die Hoffnung auf einen Neuanfang.

Nach Kundus spitzte sich die Lage zu. Verteidigungsminister Jung verhielt sich ungeschickt bis fragwürdig, und geriet ebenso zunehmend unter Druck wie die Regierung Merkels selbst. Jung-Nachfolger zu Guttenberg gab sich zunächst souverän, platzierte taktisch klug eine neue Sprachregelung, bei der aus dem Konflikt ein “kriegsähnlicher Zustand” wurde, und räumte sogar eine Fehleinschätzung seiner ersten Beurteilung des Kundus-Falles ein.

Trotzdem war die Atmosphäre zum Thema Afghanistan längst so aufgeheizt, dass zu Guttenberg blühte, sozusagen in der Hitze des Gefechts umzukommen.

Zu Weihnachten schließlich legte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, gehörig nach. “Nichts ist gut in Afghanistan“, urteilte sie in ihrer Weihnachtspredigt, und der Krieg in Afghanistan sei “nicht zu rechtfertigen“.

Selten herrschte mehr Einigkeit in der Ablehnung des deutschen Engagements.

Noch vor wenigen Tagen meinte der seit langem mit dem Thema Afghanistan befasste ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer in der FAZ kategorisch: “Der Afghanistan-Krieg hat seine Legitimation verloren” und lieferte dazu eine Reihe altbekannter und nicht von der hand zu weisender Argumente.

Die Afghanen sehen das inzwischen anders

Nun platzt just in diese neue, fast schon widerwillig erlangte Haltung der Deutschen das Ergebnis einer weiteren vom WDR durchgeführten Umfrage.

Kaum zu glauben, aber die Stimmung hat sich so gut wie grundlegend gewandelt.

In der Zusammenfassung liest sich das so:

Die Hoffnung kehrt zurück nach Afghanistan

Die Hoffnung auf stabilere politische Verhältnisse, eine Schwächung der Taliban und spürbare Verbesserungen im Alltag: Die Afghanen sehen ihr Land auf dem richtigen Weg.

In der Umfrage sehen 70 Prozent der Menschen ihr Land auf dem richtigen Weg – ein Anstieg um 30 Prozentpunkte gegenüber der letzten Untersuchung vor einem Jahr.”

“Bemerkenswert ist, dass die Verbesserungen im alltäglichen Leben nicht mit der internationalen Entwicklungshilfe in Verbindung gebracht werden. Nur gut jeder vierte Befragte (28 %) gibt an, persönlich von internationaler Hilfe profitiert zu haben.”

“[…]vorsichtiger Optimismus […], betrifft den militärischen Konflikt mit den Taliban und anderen Aufständischen. Sahen vor einem Jahr noch 43 Prozent der Afghanen eine Stärkung der Taliban, so ist dieser Wert heute auf 30 Prozent gesunken, während eine [relative] Mehrheit von 40 Prozent meint, die Aufständischen seien geschwächt.”

Hinsichtlich der Debatte im Westen und hierzulande vielleicht am erstaunlichsten ist die stark zurückgegangene ablehnende Haltung gegenüber den Westmächten:

Inzwischen sehen zwei Drittel der Befragten die Verantwortung [für die Gewalt] bei den Taliban und Al Kaida, während nur noch 10 Prozent die Schuld bei USA und NATO sehen.

Trotz anhaltender Skepsis gegenüber den NATO-Kräften wird die neue Strategie Obamas gut geheißen:  “60 Prozent der Afghanen befürworten eine befristete Aufstockung der internationalen Truppen”.

Da die Umfrage des WDR im letzten Jahr kein Blatt vor den Mund nahm, die festgestellte schroffe Ablehnung des Westens zu artikulieren, besteht nun kein Anlass, die Glaubwürdigkeit der jüngsten Umfrage in Zweifel zu ziehen, zumal sie vom selben Redakteur erstellt wurde.

Bleibt abzuwarten, ob und wie diese höchst interessanten Ergebnisse Eingang finden in die Debatte, oder ob sie von der inzwischen etablierten Mehrheitsmeinung beiseite gedrückt werden.

— Schlesinger

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