Kritik: Die Coups des Peter Münch (Süddeutsche Zeitung)

Berichterstattung aus Israel von Peter Münch
Eine Kindheit in Palästina: Drachen steigen lassen vor dem israelischen "Sicherheitszaun"

Durch Thorsten Schmitz und Peter Münch, dem Journalisten-Duo der Süddeutschen Zeitung für Israel und den Nahen Osten*, fühlte ich mich die längste Zeit gut informiert. Das ist Vergangenheit.

Peter Münch schreibt zuviel, mit dem man nicht einverstanden sein darf. Dabei geht es nicht um Interpretationen – die immer zulässig sind – sondern um Verdrehungen von Tatsachen oder Auslassung wesentlicher Information.

Der “Putsch” der Hamas

Zu möglichen Gesprächen zwischen der in Gaza regierenden Hamas und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas zur Wiedererlangung einer palästinensischen Einheit schrieb Münch am 17.03.2011:

Die im Westjordanland regierende Fatah von Präsident Abbas und die Hamas sind verfeindet, seit die Islamisten im Juni 2007 in einem blutigen Coup die Macht im Gaza-Streifen übernahmen

Obwohl der Vorgang “blutig” war, wird hier doch die Wahrheit auf den Kopf gestellt, da es gerade kein “Coup”, also kein Putsch war.

Denn die Hamas war im Jahr zuvor durch reguläre Wahlen zur Stimmenmehrheit gelangt.

Die Putschisten waren Israel, USA, Ägypten und Fatah – für uns muß es Hamas sein

Dieses überraschende und für manche unerwünschte Ergebnis wollte Israel zusammen mit den USA, der Fatah und Ägypten mit Waffengewalt rückgängig machen. Dazu wurde kurzerhand die Fatah in Gaza durch eingeschmuggelte Waffen aufgerüstet. Als Hamas erkannte, dass man sie um den Wahlsieg bringen wollte, kam sie dem Umsturzversuch zuvor und schlug in bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen die Rivalin Fatah nieder:

Das war eine von US Präsident G.W. Bush gebilligte und von Außenministerin Condoleezza Rice und dem stellvertretenden nationalen Sicherheitsberater Elliott Abrams umgesetzte verdeckte Initiative zur Auslösung eines palästinensischen Bürgerkriegs. Der Plan sah vor, dass die vom Fatah-Sicherheitschef Mohamed Dahlan angeführten, und mit neuen, auf amerikanisches Geheiß gelieferten Waffen ausgestatteten Kräfte der Fatah die nötige Schlagkraft verleihen sollten, um die demokratisch gewählte Hamas-Regierung zu entmachten.
Doch der Plan ging nach hinten los … Anstatt ihre Feinde von der Macht zu vertreiben, sorgten die von den USA unterstützten Fatah-Kämpfer ungewollt dafür, dass die Hamas die totale Kontrolle über den Gazastreifen erlangte.

David Rose, VanityFair

Durch die Schilderung “blutiger Coup” suggeriert Münch dem Leser, Hamas habe ihre Macht zugleich gewaltsam und illegitim ergriffen.

Da man einerseits davon ausgehen muss, dass Münch als langjähriger Nahost-Korrespondent den wahren Zusammenhang kennt und er andererseits mit seiner oben zitierten Formulierung gerade nicht die Unwahrheit sagt, sondern sie rhetorisch elegant umgeht, kann einem der Verdacht kommen, dass der Leser vorsätzlich fehlgeleitet werden soll. Das ist eine journalistische Todsünde.

Militante Palästinenser vs. israelische Soldaten

Peter Münch verwendet bestimmte Bezeichnungen, die Lesern im Westen durch ihre ständige Wiederholung als normal erscheinen müssen. Hierzu gehören Begriffe wie “militante Palästinenser” oder “radikale Islamisten”. So schreibt Münch anläßlich des verabscheungswürdigen jüngsten Bombenanschlags in Jerusalem:

[…] israelische Angriffe am Vortag, die zu den blutigsten seit dem Ende des letzten Gaza-Kriegs zählen. Dabei waren vier militante Palästinenser getötet worden, die nach Angaben der israelischen Armee gerade Granaten auf Israel abgefeuert hatten.

Zuvor war es zu einem folgenschweren Fehlschlag gekommen, bei dem durch das von israelischen Panzern eröffnete Feuer drei Fußball spielende Jugendliche und einer ihrer älteren Verwandten getötet wurden. Die Armee sagte, der Beschuss habe palästinensischen Kämpfern gegolten, die Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauchten.

Ist die fortgesetzte Verwendung des Begriffs “militante Palästinenser” angemessen?

Obwohl Gaza, Hamas oder Islamischer Jihad keine Völkerrechtssubjekte sind, gilt im Fall eines lang andauernden bewaffneten Konflikts – wie er zwischen Israel und Palästinensern zweifellos vorliegt – das Humanitäre Völkerrecht (HVR). Das HVR findet seinen Niederschlag im Genfer Abkommen von 1949 und den Zusatzprotokollen von 1977.

Damit wurde nach den Zeiten der klassischen Nationalkriege erstmals ein Völkerrecht ermöglicht für Konflikte, die von staatlichen und / oder nicht-staatlichen Akteuren ausgetragen werden. Als Kombattanten haben daher nicht nur die Angehörigen der israelischen Armee, sondern auch die bewaffneten Angehörigen zum Beispiel der Hamas zu gelten.

Sind die Kämpfer der Hamas oder des Islamischen Jihad nicht Terroristen? Kurz gefasst: Noch gibt es keine völkerrechtlich verbindliche Definition von Terrorismus. Dennoch kann man mit großer Sicherheit sagen, dass ein fortgesetzter jahrelang anhaltender Raketenbeschuss auf israelische Städte oder zahllose Selbstmordattentate in Tel Aviv, Jerusalem oder Netanja Akte von Terrorismus und nicht militärische Handlungen sind.

Hamas terrorisiert, Israel auch

Auf der anderen Seite stellt die jahrelange inhumane Abschnürung von zwei Millionen Menschen in Gaza eine Handlung dar, die vielleicht noch nicht hinreichend juristisch behandelt wurde. Trotzdem kann sie als Form von Terrorismus angesehen werden, da sie unterschiedslos gegen die Zivilbevölkerung gerichtet ist.

Auf den völkerrechtlich illegalen Einsatz von Phosphorbomben oder Schrapnel-Geschossen der israelischen Armee im Gazakrieg 2008/09 braucht man nicht mehr einzugehen.

Kurzum: Beide Seiten begehen offenkundig schwere Verstöße gegen das Humanitäre Völkerrecht. Aber beide Seiten sind trotz ihres Verschuldens völkerrechtlich gleichgestellte Akteure.

Für Journalisten wie Peter Münch sollte das bedeuten Neutralität zu wahren, wenn es um die Klassifizierung der Konfliktparteien geht. Die einen immerzu als “Militante” oder “Radikale” zu bezeichnen und die anderen immer nur als “Soldaten” ist unredlich.

Bei Peter Münch wird aus einem Totschlag ein “Fehlschlag”

An die Mißachtung dieses Gebots schließt sich der Folgefehler, der Peter Münch immer wieder unterläuft.

Da es sich bei den Palästinensern seiner Darstellung nach um Militante – also um Irreguläre – handelt , wird auch aus der Tötung von drei Fußball spielenden Jugendlichen ein “Fehlschlag“. Falsch. Es war Totschlag, und wie in zahllosen ähnlichen Fällen von der israelischen Armee billigend in Kauf genommen.

Dass Münch die Angaben eines israelischen Armeesprechers (!) von den “menschlichen Schutzschilden” aufgreift, die die Palästinenser angeblich benutzen, zeigt nur dessen gleichermaßen zynische wie unterwürfige Haltung.

Vielleicht muss man wenigstens für die gemäßigte Tonlage Münchs dankbar sein.

Das palästinensische Krebsgeschwür

Münchs Kollege Torsten Schmitz schrieb anlässlich der “gezielten Tötung” von Abdullah Kawasme im Juni 2003:

Die palästinensischen Terrororganisationen sind wie ein Krebs, der sich zwar partiell entfernen lässt, dem aber um so schneller Metastasen nachwachsen in Gestalt neuer, rachedurstiger Attentäter.

Es ist schon so eine Sache mit diesen blutrünstigen, vor Rachedurst blinden Kämpfern …

… die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen und Kriegsverbrechen,

wie etwa das Töten von Kindern oder unbewaffneten Zivilisten,

rücksichtslos dicht besiedelte Gebiete beschiessen und bombardieren

oder Häuser sprengen, in denen sich noch Menschen befinden, und sie unter dem Schutt sterben lassen […]

Oh, dieser Bericht von Amnesty International vom 18. Dezember 2002 handelt nicht von einem palästinensischen Krebsgeschwür, sondern von einem israelischen:

Der Bericht ging an den israelischen Verteidigungsminister und bezieht sich auf das brutale Vorgehen der israelischen Armee im Zuge der Niederschlagung der Zweiten Intifada.

— Schlesinger

* UPDATE April 2021 Leider schreibt nun wieder Peter Münch über Israel, nachdem Alexandra Föderl-Schmidt zur stellvertretenden Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung befördert wurde.

* UPDATE 24.10.2018 Heute schreibt Alexandra Föderl-Schmidt über Israel. Und das wesentlich präziser als Münch. Nachtrag: Frau Föderl-Schmidt hatte diese Funktion leider nur kurz inne. Inzwischen ist wieder der bewährte Herr Münch tätig.

* UPDATE 11. August 2014

Soll niemand glauben, Peter Münch würde seine Darstellung vom “Putsch der Hamas” korrigieren. Im Zuge des Gazakriegs von 2014 (“Defensive Edge“) wiederholt er dieselben Propaganda-Phrasen. Mit Blick auf die Waffenstillstandsverhandlungen in Kairo schreibt er:

Vielmehr soll die Verantwortung [über den Gazastreifen] der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) übertragen werden, die seit dem Hamas-Putsch von 2007 auf das Westjordanland beschränkt ist.

Leseempfehlung: Schmok ->

Peter Münch kommentiert den Nahen Osten in der Süddeutschen anscheinend von einem Paralleluniversum aus. Israel erstarre vor Furcht, schreibt er in seinem jüngsten Artikel “Israel und die Angst vor den Nachbarn“, erschienen in der Süddeutschen. Man merkt schon, was er hier gleich von Beginn an dem Leser nahe bringen möchte: Israel fürchte sich zu Recht! Und sogleich nimmt er vorweg, dass es nun endlich Zeit sei zu handeln.

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