Michael Wolffsohn träumt von Groß-Israel

Groß-Israel
Israelischer Checkpoint im arabischen Hebron

Arabischer Frühling

Der emeritierte Prof. Michael Wolffsohn hat sich in der Süddeutschen Zeitung mit der künftigen Lage im Nahen Osten befasst.

Die Frage, die ihn umtreibt lautet:

Wie sieht die Landkarte des Nahen Ostens aus, wenn der Arabische Frühling beendet ist?

Seine allgemeine Antwort lautet:

Frieden wird erst herrschen, wenn die kolonialen Grenzen eingerissen sind.

Die Antwort ist verführerisch. Die Beseitigung “kolonialer Grenzen” ist irgendwie konsensfähig, nicht ?

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Michael Wolffsohn (Photo credit: boellstiftung)

Trotzdem bleibt eine große Unsicherheit.

Denn der Nahe und Mittlere Osten sind seit Jahrtausenden von feindlichen Übernahmen geprägt.

Das ist keine vollständige Aufzählung, aber bekannt sind die Eroberungen der Ptolemäer, von Alexander dem Großen, der Seleukiden, Phöniker, Römer, Hebräer, Mamluken und Osmanen. Bis zur jüngeren Aufteilung des Vorderen Orients unter den Siegerstaaten des Ersten Weltkriegs, namentlich Englands und Frankreichs. Sollten nur letztere “koloniale Einflüsse” ausgeübt, beziehungsweise illegitime Grenzen gezogen haben?

Es stimmt: Die Grenzziehungen nach dem Ersten Weltkrieg sind willkürlich erfolgt und dienten nur dem Interesse der Siegerstaaten. Nur: Wie soll eine neue Grenzziehung aussehen?

Das simple Rezept Wolffsohns klingt für deutsche Ohren gut, weil es an Willy Brandts Satz erinnert vom “Es muss zusammen wachsen was zusammen gehört”. Woflfssohn sagt es mit Blick auf den Nahen Osten so:

Auseinanderbrechen wird, was auseinanderbrechen will.

Zusammenwachsen wird, was zusammengehört und will, doch nach dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg nicht durfte.

Großbritannien raubte Juden und Palästinensern das Ost-Jordanland

Spannend wird der Beitrag Wolffsohns in der Schilderung der Fälle, in denen zusammengezwungen wurde, was nicht zusammen gehört: In Syrien die Sunniten mit den Christen und Alawiten, im Irak die Sunniten mit den Kurden, Schiiten und Christen etc.pp.

Für Palästina dasselbe: Dort hätten die Briten die Palästinenser und die Juden um das Land streiten lassen.

Das stimmt. So weit, so gut. Doch dann landet Wolffsohn den ersten von zwei grandiosen Coups, denn

beiden, den “palästinensischen Arabern” wie den Juden, sei von den Engländern das Ostjordanland “geraubt” worden.

Offenbar ist Michael Wolffsohn der Auffassung, das “Ostjordanland” – das frühere Transjordanien, das heutige Jordanien – gehöre “eigentlich” zu Israel, wäre es nicht von den Briten gestohlen und den Haschemiten gegeben worden.

Reich von König David

Als mögliche Begründung dafür lässt sich wohl nur die Zeit von vor 3000 Jahren anführen, als König David einige Regionen östlich des Toten Meeres erobert hatte (Moab, Edom).*

Seit der Gründung Israels – und nicht erst seit dem – spukt der Geist eines “Groß-Israel”, und so mancher Historiker scheint dagegen nicht immun zu sein.

Wie das Ostjordanland den “palästinensischen Arabern” geraubt werden konnte ist einigermaßen rätselhaft.

Jordanien = Palästina

Nun folgt der zweite Coup: In Jordanien herrsche die Königsfamilie der Haschemiten mit der Unterstützung der Bedouinen – soweit korrekt – über die “Mehrheit der einheimischen Palästinenser” (sic!).

Die Mehrheit der einheimischen Palästinenser? Diese Mehrheit der Palästinenser**, und das weiß Nahost-Kenner Wolffsohn selbst am besten, entstand erst in jüngster Vergangenheit im Zuge der Vertreibung der Palästinenser durch das im Entstehen begriffene Israel in den Jahren 1947/48, und nochmals durch Vertreibungen und Massenflucht im “Sechstagekrieg” von 1967.

Erst dieser Umstand machte aus dem bis dahin stabilen und prosperierenden Transjordanien / Jordanien einen labilen Staat.

Vorsätzlich irreführend ist in diesem Kontext von “einheimisch” zu sprechen. Noch heute leben ca. 17% der Palästinenser Jordaniens in zehn Flüchtlingslagern.

Dem Historiker Wolffsohn scheint dieser Umstand gleichgültig zu sein. Offenkundig ist sein Interesse ein anderes: Er zeichnet ein Groß-Israel an die Wand. Er tarnt das mühsam durch scheinbare geschichtliche Zwänge, die im Zuge des Arabischen Frühlings abgeschüttelt werden sollen.

Daher werden die Palästinenser in Jordanien kurzerhand zu “Einheimischen” ernannt. Wolffsohn stellt fest:

Die Palästinensermehrheit Jordaniens wird daher weiter wachsen, demnächst die Macht ergreifen und Jordanien zu Palästina-Jordanien umformen.

Diesem wird sich das palästinensische Westjordanland anschließen.

Gleich, ob man diesen Gedanken nun realpolitisch nennt, kühn oder größenwahnsinnig: Neu ist er keinesfalls.

Ariel Scharon und der Politizid an den Palästinensern

Der populärste und hartnäckigste Fürsprecher der Gleichung “Jordanien  ist Palästina” war der frühere General, Verteidigungsminister und Ministerpräsident Ariel Scharon.

Die jahrzehntelange Politik Scharons gegenüber den Palästinensern hat der israelische Soziologe Baruch Kimmerling mit einigem Recht als “Politizid” bezeichnet.

Politizid

Politizid bezeichnet den Versuch Israels, die Gesellschaft der Palästinenser systematisch zu zerstören.

Jüdische Siedlungen Westbank
Jüdische Siedlungen Westbank

Aus Sicht Israels gibt es für den Politizid eine Alterative:

Würde Jordanien zum neuen Palästinenserstaat und würden nur genügend israelische Palästinenser dorthin gehen – weil man sie dazu “ermuntert” –  dann wäre Israel laut Ariel Scharon seine “Araberfrage” und sein demografisches Problem los.

Während Scharon keinen Aufwand scheute, die Palästinenser mit militärischen, administrativen und ökonomischen Mitteln zugrunde zu richten, scheint Wolffsohn eine wesentlich elegantere Lösung gefunden zu haben.

Da zur Zeit  ohnehin alles im Umbruch ist, wird Jordanien zum Palästinenserstaat.

Die Westbank schließt sich nach Darstellung Wolffsohns diesem neuen Staat an. Israel stimmt dem zu. Das hat einen “Preis”: Die halbe Million jüdischer Siedler in der Westbank bleiben Teil Israels.

Wer die heutige Karte der Westbank kennt, die  durch die israelischen Siedlungen, Militärgelände und for-jews-only Straßen zu einem Flickenteppich geworden ist, weiß aufgrund der ökonomischen und militärischen Verhältnisse vor Ort, dass die Westbank damit im Grunde israelisch würde.

Israel würde damit einem gedachten Groß-Israel ein Stück näher kommen. Es könnte darauf vertrauen, dass mehr und mehr Palästinenser ihren Grund und Boden verlassen und ins “eigentliche” Palästina, also nach Jordanien gehen.

Wem gehört das Heilige Land?

Die These, dass Jordanien zu Palästina werden wird, hat Wolffsohn bereits in seinem Buch “Wem gehört das Heilige Land?” ausgeführt.*** Auch dort war sie artig verpackt
Wem gehört nun das Heilige Land?
Es gehört niemandem, es gebührt allen.
[…] Das Heilige Land gehört den Überlebenden der verschiedenen Völker, auch Juden undArabern natürlich.
und enthielt dieselbe entscheidende, mehr als heikle Wendung:
Ein Kompromiß ist langfristig nicht ausgeschlossen, denn irgendwann wird das Königreich Jordanien »Palästina« sein. […]
Wenn Jordanien »Palästina« wird, haben die Palästinenser einen Staat.
Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wird nochmals klar gemacht, dass das Heilige Land im Prinzip zwar für Juden und Araber da ist, aber konkret ganz bestimmt nicht:
[Ein palästinensischer Staat in der Westbank und Gaza ] ist völlig unrealistisch.

Kreide fressen

Michael Wolffsohn hat damals wie heute viel Kreide verspeist, um seine Zumutungen möglichst sanft aussprechen zu können. Es ändert sich nichts daran, dass er die alte Politik Scharons recycelt und sie im Gewand zeithistorischer Analyse als nüchtern, logisch, ja zwangsläufig erscheinen lassen will.

Das ist ein treffliches Beispiel für die korrekte Schopenhauer-These, wonach die menschliche Intelligenz nicht der Moral, sondern dem Interesse dient: Gerade noch doziert der Geschichtsprofessor über historisch ungerechte Grenzziehungen, zugemutete Staatsbildungen und ein “Heiliges Land für Juden und Palästinenser”, um im nächsten Augenblick die Palästinenser wie auf dem Reissbrett nach Jordanien zu verschieben.

— Schlesinger

PS: Man könnte auch lapidar auf die Charta der Vereinten Nationen verweisen, die Prof. Wolffsohn für einen Augenblick aus den Augen verloren haben dürfte:

Artikel 2, Abs. 1 besagt:

The Organization is based on the principle of the sovereign equality of all its Members.

PS.2: Wer weiß, vielleicht wird Jordanien tatsächlich zu einem palästinensischen Staat. Wofür die “nackten Zahlen” sprechen. Die Unnatürlichkeit einer solchen Entwicklung würde in nicht allzu ferner Zukunft erneut ihren Tribut fordern.

Photo Checkpoint: B’Tselem / EyesWideOpen CC Lizenz

Photo: boellstiftung (Flickr CC Lizenz)

Karte: B ‘ Tselem Die hell- bis dunkelblau gefärbten Gebiete sind Siedlungen oder militärische Sperrgebiete. Man beachte vor allen die enge Stelle in der Mitte auf Höhe Jerusalems: Hier wird die Westbank de facto in zwei Teile zerschnitten.

* Wie fragwürdig viele biblische Darstellungen in Bezug auf das alte Königreich Israel und Juda sind, wie bescheiden die (zeitweilige) Hauptstadt Jerusalem war usf.  kann man nachlesen u.a. im Buch der israelischen bzw. jüdischen Archäologen Israel Finkelstein / Neil Silberman: “David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos

** Die Mehrheit gibt Wolffsohn überraschend mit 2/3 an, während sie lt. Auswärtigem Amt bei ca. 50% liegt, dto. bei Wikipedia. Die angebliche 2/3-Mehrheit ist seiner Argumentation dienlich. Entscheidend ist dabei nicht die genaue Zahl, sondern die Suggestion, diese Mehrheit solle den Staat Jordanien übernehmen.

*** Michael Wolffsohn, Wem gehört das Heilige Land? Bertelsmann, München, S. 277f.

Sie erinnern sich nicht mehr, weshalb Prof. Wolffsohn in den Schlagzeilen war?  Wolffsohns zum Thema Folter:  “Als eines der Mittel gegen Terroristen halte ich Folter oder die Androhung von Folter für legitim. Jawohl.” Er versuchte sich im Anschluß aus der Affäre zu ziehen, man habe ihn aus dem Kontext gerissen, er habe sich nicht so erklären können wie er es wollte.

Unlängst hatte Wolffsohn in einem Fernsehbeitrag behauptet, dass zur Bundeswehr nur diejenigen kämen, die auf dem zivilen Arbeitsmarkt weniger Chancen hätten. Und das seien „in erster Linie Unterschichten, also Ostdeutsche vornehmlich“. In einem Beitrag für DRadio titelte er seinen Beitrag mit “Prekarier in Uniform” und führte aus “In der Bundeswehr findet man überproportional viele Ostdeutsche, und zwar ostdeutsche Unterschichten.” Auch dafür will er sich beim Bundeswehrverband erklären.

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