Israel fürchtet Sturz von Hosni Mubarak

Dieses Regime ist klinisch tot. Wir warten nur noch auf seine Beerdigung.

Alle Wege für einen friedlichen und schrittweisen Wandel sind blockiert. Die einzig verbleibende Möglichkeit ist ziviler Ungehorsam.*

Das schrieb der ägyptische Journalist Hamdi Quandil vor zwei Jahren.

Heute ist es soweit. Das seit dreissig Jahren währende Regime von Präsident Hosni Mubarak ist infolge der von Tunesien ausgehenden Unruhen im Kern erschüttert und wird aller Voraussicht nach in Kürze stürzen. Nur ein Ereignis à la Tiannanem könnte die Revolution aufhalten. Bislang aber verhält sich die Armee so zurückhaltend, dass man annehmen muss, sie steht nicht fest hinter dem alten Mann.

Unruhen in Kairo - Armee neutral
Unruhen in Kairo - Armee neutral

Obwohl das diktatorische Regime von Mubarak innerhalb der ägyptischen Gesellschaft mehr Säulen hat als das Regime des gestürzten tunesischen Präsidenten Ben Ali, scheinen diese Säulen zu bröckeln.

Ob der Sturz Mubaraks gut ist für das ägyptische Volk muss sich erweisen. Sollte die einflussreiche radikale muslimische Bruderschaft einen größeren Einfluß in einer künftigen Regierung bekommen könnte das ein Weg vom Regen in die Traufe bedeuten, so wie der Sturz des Schah dem iranischen Volk nur eine andere Diktatur gebracht hat.

Für Israel ist der Wandel in Ägypten die Pest

Israel ist nervös, auch wenn es nach außen Ruhe signalisiert.

Für Jerusalem wäre sowohl eine ägyptische Regierung weltlicher Prägung, als auch eine Regierung islamistischer Prägung eine massive Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Zustand.

Das geringere Übel wäre eine Regierung unter Leitung von Mohammad El-Baradei, dem früheren Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA.

Der Ägypter El-Baradei ist ein Mann des Dialogs und der Abwägung. In der internationalen Politik ist das für den einen ein Zeichen von Rationalität und Augenmaß, für den anderen ein Zeichen von Schwäche. Seine auf Ausgleich bedachte Politik gegenüber der iranischen Atompolitik ist in israelischen Augen nur gefährlich.

Game over Mubarak
Game over Mubarak

Zur israelischen Besatzung, der Abschottung des Gazastreifens und dem Friedensprozess hat sich El-Baradei für einen Diplomaten ungewöhnlich schroff geäußert:

Gaza ist das größte Gefängnis der Welt […]

die israelische Besatzung versteht nur die Sprache der Gewalt […]

der Friedensprozess ist zu einem schlechten Witz verkommen […]

der [ägyptische] Grenzzaun zu Gaza vermittelt den Eindruck Ägypten beteilige sich an der [israelischen] Besatzung von Gaza

Unnötig zu sagen, dass er sich in Jerusalem damit keine Freunde gemacht hat.

Würden diese Worte in Politik umgesetzt wäre das im Vergleich zu Mubarak ein vollständiger Politikwechsel.

Bislang war Ägypten im Bund mit Saudi-Arabien und den kleinen reichen Ölstaaten am Golf für Israel und die USA ein zuverlässiger Partner die vermeintlichen Großmachtambitionen des Iran. Hinsichtlich der Blockade des Gazastreifens und der Siedlungspraxis hatte man allenfalls mahnende Worte gefunden. Damit können  Berufszyniker wie Netanjahu oder Lieberman bestens umgehen.

Beziehungen zwischen Muslimbruderschaft und dem Iran

Je größer das Gewicht eines radikal-islamischen Einfluß – namentlich der Muslimbruderschaft – in einer künftigen ägyptischen Regierung ist, desto größer wird die die Kooperation mit dem Iran sein.

Die Beziehungen zwischen der sunnitischen Muslimischen Bruderschaft und dem schiitischen Iran waren nie besonders eng. Doch im Verlauf der vergangen Jahrzehnte haben sich beide Seiten deutlich angenähert.

1982, also keine drei Jahre nach Beginn der islamischen Revolution unter Ajatollah Khomeini, hat sich die Bruderschaft öffentlich auf die Seite Khomeinis gestellt:

Wir unterstützten ihn politisch, weil sich ein unterdrücktes Volk von seinem Unterdrücker befreien und seine Freiheit wiedererlangen konnte.

Nach dem langen iranisch-irakischen Krieg hat Teheran auf Bitten der Bruderschaft die ägyptischen Kriegsfreiwilligen, die auf der Seite des Irak gekämpft hatten, freigelassen.

Im Januar 2009 sagte der damalige Führer der Bruderschaft Muhammad Mahdi Akaf gegenüber einer Nachrichtenagentur:

Die Muslimbruderschaft unterstützt die Ideen und Gedanken der Gründer der Islamischen Republik.

Er fügte in Bezug auf die Palästina-Frage hinzu:

Khomeinis Idee war es […]  dass die Muslimbruderschaft fortfährt, gegen die [israelische] Besatzung zu kämpfen.

Wo El-Baradei sich nur für eine Öffnung der Grenze zu Gaza ausspricht, will die Bruderschaft weiter gehen und Hamas aktiv unterstützen. Das ist für Israel eine Bedrohung ersten Ranges.

Wächst die Kriegsgefahr?

Werden sich die Plästinenser von den Aufständen in Tunesien, Ägypten und dem Jemen anstecken lassen? Eher nicht.   Proteste in Gaza würden einen Netanjahu wenig beeindrucken.

Im Westjordanland wiederum herrscht seit längerem eine extreme politische Müdigkeit, was den Widerstand gegen Israel anbelangt. Es ist nach den langen Jahren der aufeinanderfolgenden Niederlagen und der Machtlosigkeit im Angesicht der unbeirrt voranschreitenden jüdischen Siedlungen so etwas wie Schicksalsergebenheit eingetreten.

Die israelische “Matrix der Kontrolle”, wie es der israelische Menschenrechtler Jeff Halper das feinmaschige Netz der Okkupation bezeichnet, scheint im Laufe der Jahre einen Lähmungszustand bewirkt zu haben. Diesen Eindruck von Ermüdung hat aktuell auch der Dokumentarfilmer Robert Krieg aus Bethlehem mitgebracht. Die Situation vor Beginn  der Zweiten Intifada im Spätjahr 2000, in der allen Beobachtern klar war wie angespannt die Lage ist, ist heute nirgends zu erkennen.

Brisanter scheint die Frage, inwieweit unter einer neuen ägyptischen Regierung die Grenze zum Gazastreifen geöffnet wird. Damit ist nicht nur die physische Öffnung für den Personenverkehr gemeint, sondern vielmehr die politische Öffnung. Bekanntlich ist die in Gaza regierende Hamas der Ableger der Muslimbruderschaft.

Was würde passieren, wenn Waffen in größerem Stil nach Gaza gelangten?

Sobald Israel meint, Hamas könnte in der Lage sein die Grenzanlagen zu Gaza wirkungsvoll anzugreifen, ein größeres Gebiet Israels mit modernen Raketen zu attackieren, einen Vorstoß israelischer Panzer in den Gazastreifen durch effiziente Panzwerabwehrwaffen zu vereiteln oder gar israelische Jagdbomber mit Stinger-oder ähnlichen Flugabwehrraketen abzuschiessen, würde es einen Präventivschlag vornehmen, der die Gaza-Operation Gegossenes Blei von 2008/09 wie eine kleine Übung aussehen lassen würde.

Interessanterweise sieht sich Hamas inzwischen ebenso in der Schusslinie wie Tunesiens gestürzter Ben Ali und Mubaraks noch nicht gestürzter Mubarak:

Hamas leaders in the Gaza Strip are concerned about the effects of the upheaval in the Arab world, as Facebook messages call on Gaza residents to demonstrate against Hamas rule on Friday.

Seit längerem gärt es im Gazstreifen, wo der Protest gegen Hamas immer lauter wird.

Die Hisbollah lauert

Im Libanon wiederum ist die Macht der Hisbollah seit dem jüngst erfolgten Sturz der pro-westlichen Regierung Hariri größer denn je. Seit dem Waffengang gegen Israel im Jahr 2006, der in einem Patt ausging, sind die Waffenläger der Hisbollah bestens gefüllt. Man kann annehmen, dass das angehäufte Arsenal heute moderner ist als es zuletzt war.

Hisbollah-Führer Scheich Nasrallah hat schon öfters Drohungen ausgestoßen, sich an einem Waffengang der Hamas gegen Israel zu beteiligen. In Israel nimmt man aktuell an, dass Verbindungsleute der Hisbollah nach Gaza einsickern. Nicht nur deswegen scheint so ein Szenario für die Zukunft realistisch.

Ein Flächenbrand ist eher nicht zu befürchten. Alle Gegner Israels kennen die klare Überlegenheit Israels  im konventionellen Bereich. Andererseits konnten alle Beobachter anhand des letzten Libanonkriegs 2006 beobachten wie anfällig Israel gegen Guerillataktik ist. Das weiß Israel und das wissen ihre Gegner.

Israel übernimmt die Grenze Gazas zu Ägypten

Die Aussicht auf Zermürbungskämpfe an mehreren Fronten oder auch nur eine militärisch deutlich gestärkte Hamas wird Israel zu präventiven Maßnahmen zwingen.

Sobald sich zeigt dass Ägypten die Grenze zu Gaza auf eine Art öffnet, die Israel nicht kontrollieren kann, wird es mit einiger Wahrscheinlichkeit den “Philadelphi Route” bezeichneten Grenzstreifen bei Rafah erneut übernehmen, um für eine vollständige Abriegelung zu sorgen.

Das mag aus israelischer Sicht mit Risiken verbunden sein. Aber diese Risiken dürften kleiner eingeschätzt werden als die, die mit einer unkontrollierten Grenzöffnung verbunden sind.**

Für Ägypten besteht eine gute gute Chance, aus den Unruhen gestärkt hervor zu gehen.

Für Gaza und die West Bank dürfte sich diese Entwicklung eher schlecht auswirken.

— Schlesinger

Photo: Erik N. Wiki CC Lizenz

Photo: Al Jazeera Video screenshot

* This regime is clinically dead and we merely await its funeral,” writes the author, Hamdi Qandil, a prominent Egyptian journalist and critic of the regime. “All paths for peaceful and gradual change are blocked,” he concludes. “The only course left is civil disobedience.”

** Schon einmal – im Frühjahr 2004 – hat die israelische Armee den Grenzbereich Gazas zu Ägypten in der “Operation Rainbow” auf radikale Weise bereinigt, um diesen “gateway to terrorism” zu schliessen.

Ironischerweise steht die israelische Bevölkerung der Demokratisierungsbewegung in Ägypten mit Wohlwollen gegenüber.

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