Oscarverleihung 2010: Ajami, ein zwiespältiger Film über Jaffa

“Es ist ein Film. Sie wollen Sex, Blut, Gewalt, so Sachen halt, die gut für einen Film sind aber nicht gut für unsere Nachbarschaft” meint der 33jährige Kamal aus Jaffa.

Kamal, der ehrenamtlich im Nachbarschaftskommittee arbeitet,  fährt fort: “Jaffa hat ein sehr schlechtes Image mit Verbrechen und Drogen, das einfach nicht der Wirklichkeit entspricht. Es ist nicht annähernd so übel wie in Lod oder Taiba, aber weil wir zu Tel Aviv gehören, wird immer übertrieben, wenn hier etwas passiert.”

Die alte Hafenstadt ist direkt mit Tel Aviv verbunden und wird mehrheitlich von palästinensischen Arabern bewohnt.  Dort spielt die israelisch-palästinensische Koproduktion “Ajami”, die bei der heutigen Oscarverleihung für den besten ausländischen Film nominiert ist.

Der Film wurde acht Jahre lang von einem jüdischen und einem palästinensischen Israeli vorbereitet und mit Laienschauspielern produziert. Ajami ist eine Milieustudie dieser Stadt, die neben Arabern auch von Christen, Juden und Drusen bewohnt wird. Sie ist von Armut gezeichnet, neben der aber auch neuer großer Reichtum auftaucht. Sie hat eine sehr junge Bevölkerung. Alt steht neben neu, altmodisch neben modern. In alles spielt die angespannte politische Lage mit hinein.

Ajami ist ein Episodenfilm, der fünf Lebenswege zeigt und dabei das Leben aus der Perspektive der Straße schildert.  Omar will seinen Onkel rächen, der erschossen wurde. Der israelische Polizist Dando sucht seinen vermissten Bruder, wobei er vermutet, die Araber hätten ihn entführt. Der junge PalästinenserMalek arbeitet illegal in Tel Aviv, um sich eine Operation zu finanzieren. Binj (gespielt von Regisseur Scandar Copti) ist ein wohlhabender Palästinenser, der sich in eine junge Jüdin verliebt hat.

Die Spannung des Films lebt von der dichten Atmosphäre, die aus dem Nebeneinander von scheinbar allgegenwärtiger Aggression im Kampf um Familie, Ehre, Leben und Geld einerseits und Momenten großer Zärtlichkeit, Freundschaft und Zuneigung andererseits resultiert. Insofern erinnert der Film an die meisterlichen Werke von Alejandro Gonzalez Inarritu mit seinen Filmen “Amores Perros”, “21 Gramm” oder “Babel”. Wie die Filme Inarritus basiert die Grundstruktur von Ajami auf dem alten griechischen Konzept der Tragödie: Die Beteiligten haben ihre Perspektive, die für sich genommen rechtfertigbar ist, aber im Zusammenspiel folgt das Tragische daraus.

Fast alle in Jaffa haben den Film inzwischen gesehen. Er sorgt für einigen Lokalpatriotismus und viele Einwohner Jaffas sind begeistert, dass er nun auch für den Oscar nominiert ist. An dieser Stelle kommt die schon eingangs angedeutete Zwiespältigkeit an diesem Film zum Tragen. Nimmt man den Film nur als künstlerische Produktion, so dürfte er die bislang erhaltenen Ehrungen zurecht erhalten haben, und sich des weiteren Hoffnungen auf den Academy Award machen können.

Aber der Film scheint mehr sein zu wollen. Heute morgen kamen auf Deutschlandradio Kultur die beiden Regisseure Yaron Shani und Scandar Copti zu Wort. Mit ihren Darlegungen wurde klar, dass sie durchaus der Auffassung sind, Ajami würde die echten Verhältnisse und die wahren Probleme Jaffas wiedergeben. Nein, wurde ausdrücklich gesagt, dieser Film sei keine Metapher auf das Leben in Jaffa, es sei ein Abbild des dortigen Lebens. Das allerdings dürfte zu weit gehen.

Darin unterscheidet sich Ajami von Waltz with Bashir, dem beeindruckenden israelischen Film von Ari Folman über den israelischen Libanonkrieg von 1982. Waltz with Bashir war tatsächlich keine Metapher, sondern bildete aus der Perspektive betroffener Soldaten den Krieg ab mit den Mitteln eines Animationsfilms.

Die realen Probleme Jaffas dürften jenseits einer sicher nicht abstreitbaren Kriminalität viel eher in einer zu großen Arbeitslosigkeit bestehen, einer damit verbundenen Perspektivlosigkeit der Jungen (die Hälfte der Bewohner Jaffas sind jünger als 18!), oder einem schleichenden aber steten Zuzug von vermögenderen Juden – oftmals mit ideologischem Hintergrund -, was neben der Provokation auch die Preise auf dem Miet- und Häusermarkt nach oben treibt und damit die Lage für die arabische Bevölkerung nochmals erschwert.

Zu letzterem könnte der Film etwas Gutes beitragen, meint Muhammad, eins islamischer Aktivist. Wenn die Israelis zum Schluß kommen, dass es in Jaffa nur Kriminalität und Gewalt gäbe, würden sie vielleicht weg bleiben.

Ansonsten ist das Leben in Jaffa durchaus normal. Mein Besuch liegt schon einige Zeit zurück (1990), aber immerhin für damals kann ich bestätigen, was der “Hummus-Blog” anschulich und amüsant beschreibt:

Jaffa is a city of contrasts. On one hand, it has a charged historical background. On the other, it’s a peaceful, friendly, hospitable place, and it is as beautiful as Tel-Aviv could never be.

In Jaffa you can find, side by side, luxurious mansions and neglected old buildings. Gourmet restaurants and cheap eateries. Wretchedness and glory, in an impossible mixture. And a lot of hummus.

Dass der Film durchaus realitätsbezogen ist, sieht man an den aktuellen Demonstrationen in Jaffa. Dort wird gegen die aus Sicht der arabischen Bevölkerung zunehmende Gewalt der israelischen Polizei protestiert. Unter den Demonstranten war am Samstag auch Mary Copti, die Mutter des einen Regisseurs.

In einem sind sich alle einig in Jaffa: Der Film sei für sich genommen richtig gut. Man darf gespannt sein, wie er hier in deutschland aufgenommen wird. Waltz with Bashir war leider keine allzu große Aufmerksamkeit beschert.

— Schlesinger

PS: Esst mehr Hummus!

Leseempfehlung: Brian Orndorfs Review
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