Nahost-Friedensverhandlungen von Oslo bis Annapolis

Konfliktregelungsversuche in Nahost nach dem Scheitern des Oslo-Prozesses

Von der einseitigen israelischen Abkoppelung zum Annapolis-Friedensprozess

Patrick Müller

Im November 2007 einigten sich Israel und die Palästinenser auf der Nahost-Konferenz in Annapolis auf einen Neustart des Friedensprozesses.

Damit kehren die Konfliktparteien wieder zu einer politischen Strategie zurück, in deren Zentrum eine einvernehmliche Lösung der zentralen Streitfragen steht.

Seit dem Scheitern der Endstatus-Verhandlungen vor sieben Jahren hatte Israel zunächst versucht, den Konflikt mit den Palästinensern durch eine Politik der einseitigen Abkopplung von den palästinensischen Gebieten einzudämmen. Nachdem der Erfolg dieser Politik ausblieb, suchen Israel und die Palästinenser nun wieder am Verhandlungstisch nach Lösungen.

Dabei sind jedoch neue politische Herausforderungen für den Friedensprozess hinzugekommen. Besonders die Spaltung der palästinensischen Führung erschwert die Friedensbemühungen in Nahost. Dieser Beitrag beschreibt die zentralen politischen Entwicklungen in den israelisch-palästinensischen Beziehungen seit dem Amtsantritt des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon im Februar 2001.

Dabei wird insbesondere den Fragen nachgegangen, welche Konsequenzen sich aus den Entwicklungen der letzten Jahre für eine friedliche Regelung zentraler Konfliktfragen ergeben und welche Rolle der internationalen Gemeinschaft im Nahost-Friedensprozess zukommt. In einem Ausblick wird zudem eine knappe Einschätzung zu den Erfolgsaussichten des Annapolis-Friedensprozesses formuliert.

Israels Strategie der einseitigen Abkoppelung von den palästinensischen Gebieten

Das Scheitern des Oslo-Friedensprozesses und der Ausbruch der zweiten Intifada im September 2000 hat das Vertrauen vieler Israelis in Friedensverhandlungen schwer beschädigt.

Unter dem Ministerpräsidenten Ariel Sharon setzte Israel vermehrt auf eine Politik der einseitigen Abkoppelung von den Palästinensern.

Sharons politische Strategie basierte auf der Prämisse, dass es auf palästinensischer Seite keinen verlässlichen Partner für Friedensgespräche gebe.

Statt weiterhin auf Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zu bauen, plante Israel einen Rückzug aus jenen Teilen der besetzten Gebiete, in denen im Falle eines Friedensabkommens ohnehin ausschließlich Palästinenser leben würden. Strategisch wichtige Gebiete sowie die Kontrolle über die Außengrenzen der palästinensischen Gebiete sollten jedoch bei Israel verbleiben.

Israels Abkoppelung von den palästinensischen Gebieten begann im Frühjahr 2003 mit der Errichtung einer Sicherheitsbarriere zwischen dem israelischen Kernland und der West Bank. Die über 600 Kilometer lange Barriere soll die israelische Bevölkerung vor Terroranschlägen aus den palästinensischen Gebieten schützen.

Von der palästinensischen Führung wurde der Verlauf der Barriere, welcher zum Teil erheblich von der Grünen Grenze zwischen Israel und der West Bank abweicht, hingegen heftig kritisiert.[1] Schließlich verbleiben große israelische Siedlungen, wichtige Wasserressourcen der West Bank sowie der Osten Jerusalems auf der israelischen Seite der Barriere.

Damit wurde der so genannte road map-Prozess ausgesetzt, den das Nahost-Quartett – bestehend aus den USA, den Vereinten Nationen, der Europäischen Union (EU) und Russland – nur wenige Monate zuvor initiiert hatte, um den israelisch-palästinensischen Friedensprozess wieder zu beleben. [2]

Das Kernelement von Sharons Plan war Israels Rückzug aus dem Gaza-Streifen und einigen isolierten Siedlungen in der nördlichen West Bank. Im Gegenzug versuchte Israel insbesondere seine Ansprüche auf große Siedlungsblöcke in der West Bank, die in der Nähe der Grünen Grenze gelegen sind, zu festigen. Trotz des organisierten Widerstandes von Siedlergruppen gelang der israelischen Armee im Sommer 2005 ein geordneter Rückzug aus dem Gaza-Streifen und die Auflösung der israelischen Siedlungen. Unter Ehud Olmert, der Ariel Sharon im Januar 2006 als Ministerpräsident nachfolgte und ursprünglich dessen Politik weiterführen wollte, kam es jedoch zu einer Abkehr von der einseitigen Abkoppelungsstrategie.

Ausschlaggebend hierfür waren unter anderem der Libanonkrieg im Sommer 2006 sowie die Entwicklung der Sicherheitslage im Gaza-Streifen nach dem israelischen Abzug.

Gerade der Raketenbeschuss des südlichen Israels durch militante Hamas-Milizen im Gaza-Streifen machte deutlich, dass ein unilateraler israelischer Rückzug aus besetzten Gebieten ohne eine Lösung der zentralen Konfliktfragen keinen Frieden schaffen konnte.

Dies galt insbesondere für die Fatah-Partei des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, welche als Mitinitiatorin des Oslo-Prozesses gerade auch an ihrer Fähigkeit gemessen wird, die Konfliktlösung auf dem Verhandlungsweg voranzubringen.[3]

Als im Februar 2006 Wahlen zum palästinensischen Legislativrat abgehalten wurden, erlitt die Fatah eine deutliche Niederlage. Klarer Wahlsieger wurde die islamistische Hamas, der es gelungen war, sich als positive Alternative zu dem ineffizienten und korrupten Regierungsstil der Fatah zu präsentieren.

Nach den Wahlen spitzte sich der Machtkampf zwischen Hamas und Fatah weiter zu. Die Fatah ließ sich nicht in die Regierung des Hamas-Führers und neuen palästinensischen Ministerpräsidenten Ismail Haniyeh einbinden und weigerte sich zudem, zentrale Machtbefugnisse an die neue Regierung zu übertragen.

Gleichzeitig übte die internationale Gemeinschaft Druck auf Haniyehs Regierung aus, der neben der Hamas auch unabhängige Kräfte angehörten.

Das Nahost-Quartett knüpfte eine Reihe von Bedingungen an die Kooperation mit der neuen Regierung. Als die Hamas diesen Bedingungen nicht hinreichend nachkam, wurde sie von der internationalen Gemeinschaft politisch und finanziell isoliert. Im Februar 2007 vermittelte Saudi-Arabien ein Machtteilungsarrangement zwischen Fatah und Hamas, das die inner-palästinensische Auseinandersetzung vorübergehend beendete. Auf der Grundlage des so genannten Mekka-Abkommens wurde unter dem Premier Haniyeh eine Regierung der nationalen Einheit gebildet, der sowohl Mitglieder der Hamas wie der Fatah angehörten.

Gleichzeitig rüsteten beide Parteien jedoch ihre jeweiligen Milizen und Sicherheitskräfte weiter auf, wobei die USA begann, die Fatah finanziell und militärisch zu unterstützen. Im Juni 2007 begegnete die Hamas der wachsenden militärischen Bedrohung mit der gewaltsamen Machtübernahme im Gaza-Streifen.

Präsident Mahmud Abbas bildete daraufhin eine Notstandsregierung in der West Bank, in der Mitglieder der Fatah-Partei die Mehrheit stellen. Damit war die Spaltung der palästinensischen Führung vollzogen. Diese konnte bis heute nicht überwunden werden, auch wenn 80 Prozent der Palästinenser die Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas als höchste politische Priorität verstehen.

Die Konferenz von Annapolis

Ausgangspunkt für einen fragilen Friedensprozess

Die Spaltung der palästinensischen Führung wurde insbesondere von den USA als Chance gewertet, den Nahost-Friedensprozess wieder zu beleben. Auf Initiative der USA versammelten sich im November 2007 die Konfliktparteien zu einer Nahost-Konferenz im amerikanischen Annapolis.

Die Palästinenser waren dabei durch Präsident Mahmud Abbas vertreten, die Teilnahme von Vertretern der Hamas wurde hingegen nicht angestrebt. Dies war die konsequente Fortsetzung der Politik der internationalen Gemeinschaft seit dem Wahlsieg der Hamas, die darauf abzielte, die Fatah als konstruktive und positive Alternative zur Hamas zu etablieren und wieder zur dominierenden Kraft in den palästinensischen Gebieten zu machen.

In Annapolis kamen Israel und die Palästinenser überein, wieder Friedensgespräche aufzunehmen und parallel zum Verhandlungsprozess eine Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen umzusetzen. Bis Ende 2008 soll ein Endstatusabkommen auf der Basis einer Zwei-Staaten-Lösung erarbeitet werden.

Dieses soll Regelungen für die zentralen Konfliktfragen wie die Grenzen eines künftigen palästinensischen Staates, die Kontrolle über Jerusalem, gegenseitige Sicherheitsvorkehrungen, Israels Siedlungen, die palästinensische Flüchtlingsfrage sowie die Kontrolle über Wasserressourcen beinhalten. Grundsätzlich ist festzustellen, dass für die beschriebenen Konfliktfragen im Zuge der bisherigen Friedensbemühungen bereits weit reichende Lösungsmöglichkeiten ausgearbeitet wurden, auf welche die Verhandlungsparteien zurückgreifen können.

Bezüglich der territorialen Frage herrscht etwa Einigkeit darüber, dass sich die Grenzen eines künftigen palästinensischen Staates im Wesentlichen an den Grenzen von 1967 orientieren sollen. Es gilt jedoch zu klären, wie die Grenzen im Detail verlaufen sollen.

Für die West Bank ist der Austausch von Gebieten zwischen Israel und den Palästinensern vorgesehen, der in den Verhandlungen noch zu präzisieren ist. Erschwerend kommt hierbei jedoch hinzu, dass insbesondere territoriale Fragen immer stärker von Sicherheitsfragen überlagert werden. Israelische Sicherheitspolitiker verstehen dabei die Kontrolle über die West Bank zunehmend als sicherheitspolitische Notwendigkeit.

Wegen der Nähe der West Bank zu israelischen Ballungszentren und zu Israels internationalem Flughafen in Tel Aviv wird befürchtet, die Sicherheitslage könnte sich nach einem israelischen Abzug ähnlich verschlechtern wie seinerzeit im Gaza-Streifen.

Gleichzeitig fordern die Palästinenser jedoch eine politische Lösung, die ihnen einen Ausweg aus einem von Israel kontrollierten Leben in isolierten und durch Mauern, Zäune und Militärposten begrenzten Enklaven aufzeigt.Die Entwicklungen der letzten Jahre haben es somit noch schwieriger gemacht, einen tragfähigen Ausgleich zwischen Israels Sicherheitsinteressen und dem palästinensischen Streben nach einem souveränen und lebensfähigen Staat zu finden. Bei dem Lösungsversuch der übrigen Streitfragen dürfte es dagegen leichter sein, an die Kompromissformeln der vergangenen Jahre anzuknüpfen. Doch auch hier gilt es, das wachsende Misstrauen zwischen den beiden Parteien zu überwinden. Schließlich rührt die Regelung der zentralen Konfliktfragen entschieden an dem kollektiven Selbstverständnis und den jeweiligen Geschichtsinterpretationen der beiden Völker.

Die Rolle der USA und der EU im Nahost-Friedensprozess

Für den Nahost-Friedensprozess ist das Engagement der USA und der EU von herausragender Bedeutung. Traditionell spielen die USA die entscheidende Vermittlerrolle im Verhandlungsprozess zwischen Israel und den Palästinensern. Dies gilt auch für den Annapolis-Friedensprozess, der auf einer amerikanischen Initiative beruht. Die Amerikaner verdanken ihre Führungsposition vor allem ihrem großen politischen Einfluss auf die Konfliktparteien. Besonders die engen amerikanisch-israelischen Beziehungen erlauben es den USA, dem Friedensprozess entscheidende Impulse zu geben. Zudem besitzen die USA die nötigen militärischen Fähigkeiten, ein mögliches Friedensabkommen zwischen Israel und seinen Nachbarn hinreichend sicherheitspolitisch abzusichern.

Neben den USA haben sich gerade auch die Europäer in der Vergangenheit im Nahost-Friedensprozess engagiert. Dabei konzentrierte sich die EU anfänglich vorrangig auf die ökonomische Unterstützung der Konfliktparteien und den Aufbau regionaler Kooperationsstrukturen, wie der Euro-Mediterranen Partnerschaft.

Seit Ende der 1990er Jahre hat die EU ihr nahostpolitisches Engagement immer stärker ausgeweitet und gerade auch ihr politische Rolle gestärkt. Als Mitglied des Nahost-Quartetts verfügen die Europäer unter anderem über die Möglichkeit, eigene Ideen in die internationalen Friedensbemühungen einzuspeisen und auf den diplomatischen Prozess zwischen Israel und den Palästinensern einzuwirken.

Zudem ist die EU seit Ende 2005 mit einer Grenz-Mission (EU BAM) und einer Polizeimission (EUPOL COPPS) in den palästinensischen Gebieten präsent.

Auf der Konferenz von Annapolis wurden dem Nahost-Quartett allerdings keine wesentlichen politischen Aufgaben übertragen. Stattdessen haben die USA ihren Führungsanspruch im politischen Prozess betont, während die Europäer sich wieder weitgehend auf eine Politik der ökonomischen Unterstützung zurückgezogen haben.Ausblick: Annapolis – Chance für einen Neuanfang im Friedensprozess

Angesichts der großen Herausforderungen vor denen die Verhandlungsparteien gegenwärtig stehen ist es überaus fraglich, ob die in Annapolis skizzierte Konfliktregelungsstrategie sich als tragfähig erweisen wird. Zwei Elemente in der Architektur des Annapolis-Friedensprozesses geben dabei besonderen Anlass zur Skepsis.

Erstens ist gerade angesichts der innenpolitischen Schwäche der politischen Führung beider Seiten nicht davon auszugehen, dass Ehud Olmert und Mahmud Abbas auf sich alleine gestellt den Verhandlungsprozess entschieden vorantreiben können. Deshalb wäre es wichtig, dass die internationale Gemeinschaft die israelisch-palästinensischen Verhandlungen aktiv begleitet. Die USA, der dabei eine Schlüsselrolle zukommt, überlässt den Verhandlungsprozess gegenwärtig jedoch weitgehend den beiden Konfliktparteien. Eine aktive Vermittlerrolle, die es erlaubt Kompromissformeln in die Verhandlungen einzubringen und eine verbindliche Zeitschiene für die Friedensgespräche zu entwickeln, ist hingegen nicht vorgesehen. Stattdessen vertrat US-Präsident George W. Bush in Annapolis die Ansicht, die internationale Gemeinschaft solle sich in erster Linie darauf konzentrieren, günstige Rahmenbedingungen für die Friedensverhandlungen zu schaffen.

Eine zweite Schwäche des Annapolis-Friedensprozesses beruht darauf, dass wesentliche Akteure im Nahost-Konflikt nicht in die Problemlösung mit einbezogen werden. Besonders problematisch ist dabei die Isolationspolitik gegenüber der Hamas-Führung im Gaza-Streifen, der damit keine Anreize geboten werden, konstruktiv zu einer Konfliktregelung beizutragen.

Gerade politische Fragen, die den Gaza-Streifen betreffen, lassen sich jedoch nicht friedlich ohne Verständigung mit der Hamas lösen. Der Annapolis-Friedensprozess wird bereits jetzt weitgehend vom politischen Krisenmanagement im Gaza-Streifen überschattet. Auch sollte nicht vergessen werden, dass der Nahost-Konflikt nicht auf den israelisch-palästinensischen Konflikt begrenzt ist. Die Einbindung weiterer Konfliktparteien, insbesondere Syriens, in die gegenwärtigen Friedensbemühungen ist von zentraler Bedeutung, um potentielle Störfaktoren zu eliminieren und eine möglichst breite Unterstützung für den Friedensprozess zu mobilisieren.

Patrick Müller

Dr. Patrick Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika am Institut für Wissenschaft und Politik in Berlin. Zu seinen Forschungsfeldern gehören Nahostkonflikt und Friedensprozess; Euro-Mediterrane Partnerschaft; Europäische und deutsche Nahostpolitik; Transatlantische Beziehungen; Europäische Integration.

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