Zensiert München israelkritischen Historiker?

Die ehemalige “Hauptstadt der Bewegung” hat doch zu Nazizeiten genügend schlechte Erfahrungen mit Bücherverbrennungen, Denk- und Sprechverboten gemacht.

Und dennoch wurde seitens der Stadt München offenbar gestern ein Sprechverbot gegen Prof. Dr. Ilan Pappé, den international anerkannten und renommierten Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der britischen Universität Exeter,  erteilt.

Der israelische Historiker Pappé hätte am Samstag und Sonntag (24.10.2009) im Pädagogischen Institut, dessen Träger die Stadt ist, zur Reihe “Israel – Mythos und Wirklichkeit” vortragen sollen.

Darin sollte der Begriff des politischen Zionismus geklärt, sowie untersucht werden, inwiefern die heutige israelische Politik als die Verwirklichung des zionistischen Programms verstanden werden kann.

Prof. Pappé hat u.a. das Standardwerk über die ethnischen Säuberungen vorgelegt, die Israel im Zuge des sogenannten “Unabhängigkeitskrieges” 1948 nachweislich an der palästinensischen Bevölkerung Palästinas begangen hat.*

Bis zur Veröffentlichung seines Buches über die Katastrophe der Säuberungen (“Naqba” im Arabischen) war Ilan Pappé Leiter des Instituts für Konfliktforschung an der Universität Haifa.

Pappé gehört neben den anderen sogenannten “jungen Historikern” Idith Zertal, Akiva Eldar, Avi Shlaim, Tanya Reinhart oder Benny Morris zu denen, die sich erstmals ebenso gründlich wie kritisch mit der gewaltsamen Gründungsgeschichte Israels auseinander gesetzt haben.

Dabei blieb wenig übrig vom Mythos, Israel habe sich lediglich gegen die arabische Übermacht erwehrt, während die palästinensische Bevölkerung mehr oder weniger aus eigenem Entschluss geflüchtet sei. Beides war stark korrekturbedürftig.

Israel – allen voran Staatsgründer David Ben Gurion – war sehr daran interessiert, sein Territorium und die Zusammensetzung der Bevölkerung Palästinas anhand einer passenden Gelegenheit zu verändern. Diese passende Gelegenheit war schlicht: Krieg. Das schrieb Ben Gurion expressis verbis an seinen Sohn. Unmittelbar mit Kriegsbeginn wurde nach Plänen, die lange im voraus ausgearbeitet worden waren, die systematische und gewaltsame Vertreibung der palästinensischen Araber vorgenommen.

Da diese neuen Erkenntnisse, die so neu nun nicht mehr sind, in den politisch-militärischen Kreisen Israels ebensowenig gut ankommen, wie hierzulande etwa beim Zentralrat der Juden, darf niemanden wundern.

Gegen eine skeptische Haltung ist nichts einzuwenden. Kritische Stimmen, die versuchen, die Positionen der genannten Historiker aufzuweichen, gab und gibt es einige, und an einer ernsthaften, wissenschaftlich geführten Diskussion kann nichts ausgesetzt werden.

Doch vermisst man gerade die ernsthafte Diskussion. Statt dessen wird mitunter mit schwerer politischer Artillerie auf die vermeintlichen Defätisten geschossen, die das Ansehen Israels aus niederen Motiven untergraben wollen.  Da nennt man Pappé einen “Advokaten der Zerstörung Israels” oder schlicht einen “Verräter”, den man aus der eigenen akademischen Gemeinschaft ausgeschlossen sehen möchte (Pappé wechselte tatsächlich von der Universität Haifa nach England).

Die Stadt München hat dem Veranstalter der eingangs genannten Vortragsreihe ohne Begründung mitgeteilt,  dass der Veranstaltungsort nicht mehr zur Verfügung steht.  Der Veranstalter, eine palästinesisch-jüdische Dialoggruppe, war genötigt rasch einen Ausweichort zu finden, was gelungen ist.

Dieses Vorgehen der Stadt München kann, sofern sich der Sachverhalt tatsächlich so darstellt, wie er seitens des Veranstalter kommuniziert wurde, nur als skandalös bezeichnet werden. In Deutschland gilt immer noch die freie Meinungsäußerung.

Gegen Rechtsradikale meist nicht vorgehen zu können, weil sie von der Meinungsfreiheit geschützt sind, ist ärgerlich, aber einen renommierten Forscher mit einem Maulkorb versehen zu wollen, weil er hier vortragen möchte, was seitens der internationalen Historikergemeinde längst akzeptiert ist, ist eine unerträgliche Vorstellung.

München ist – siehe zum Beispiel Christopher Street Day mit OB Christian Ude stets vorweg – als höchst liberale Stadt bekannt. Wäre daher wichtig zu erfahren, welches Motiv oder Interesse hinter diesem schäbigen Zensurversuch steht.

Die Diskussion zu diesem Beitrag können Sie auf dem FREITAG verfolgen.

— Schlesinger

PS: An alle Leser des “Muslim-Markt” (man kan sich seine Leser nicht immer aussuchen): Ich halte den unverändert angeführten Slogan der Webseite  “US-Feldzug gegen Islam und die Welt” für schlicht dumm und irreführend. Das mochte hinsichtlich des Islam noch unter George W. Bush gegolten haben, aber gewiss nicht  mehr unter Obama. Die jüngste Aufstockung von Truppen für Afghanistan – das wird von bestimmte Seiten aus gewissen Gründen leider unterschlagen – besteht fast nur aus Militärpersonal mit technischen Aufgaben (Brückenbau, Straßenbau etc.pp.)

* “The ethnic cleansing  of Palestine”, OneWorld, Oxford, 2006

Photo: Ilan Pappé, v. electronic intifada

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